Diese Expedition ist mittlerweile weltberühmt. Am 5. Dezember 1914, Europa befand sich schon mitten im Krieg, verließ der Engländer Ernest Shackleton zusammen mit 27 tapferen Männern die Inseln von South Georgia im südlichen Atlantik.
Ziel war es, mit seinem Schiff namens „Endurance“ (dt. Ausdauer) die Antarktis anzusteuern, um als Erste diesen eisigen Kontinent zu Fuß zu durchqueren. Keiner hatte den fast 3.000 Kilometer langen Fußmarsch jemals zurücklegen können. Und auch Shackleton und seine Mannschaft würden es nicht schaffen. Ewiger Ruhm sollte ihnen trotzdem zuteil werden.
Schon zu Anfang waren die Wetterbedingungen äußerst ungünstig, und so fror die „Endurance“ im Eismeer ein, bevor sie überhaupt die Antarktis erreichen konnte. Dieses Missgeschick verwandelte die ambitionierte Mission Shackletons in einen verzweifelten Überlebenskampf. Denn das Eis konnte erst im Frühling schmelzen – und der war noch weit weg.
Nachdem die „Endurance“ also ganze neun Monate vom Eis eingeschlossen nach Norden abgetrieben war, wurde das Schiff von den Druckverhältnissen regelrecht zusammengequetscht. Wasser drang ein, das Schiff drohte zu sinken, und so entschied ihr Kapitän, die „Endurance“ aufzugeben und alle Habseligkeiten auf das Eis zu schaffen.
Noch weitere sieben Monate, mit Temperaturen bis zu 30 Grad Minus, lagerte die Besatzung nun auf der riesigen Scholle und hoffte, in Richtung Festland getrieben zu werden. Doch irgendwann wurde es auch dort zu gefährlich. Als die Scholle am 9. April 2016 in zwei Teile brach, befahl Shackleton, die drei Rettungsboote zu beladen und versuchte, mit allen Männern so das nächste Land zu erreichen. Nach fünf erschütternden Tagen auf eisiger See landete die erschöpfte Mannschaft auf „Elephant Island“, einem gottverlassenen Ort ohne jegliche Vegetation und fernab von allen gängigen Schifffahrtsrouten. Die Chancen hier von jemandem gerettet zu werden, waren gleich Null.
Aber wenigstens hatten die Seeleute nach 16 Monaten brutalen und eisig kalten Lockdowns endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Keine Angst mehr zu ertrinken – schon alleine das muss sich gut angefühlt haben. Doch wirklich sicher waren die Männer auf Elephant Island keineswegs.
Und so entschied der Kapitän am 24. April 1916, eines der Rettungsboote mit ihm selbst und fünf weiteren Seeleuten ins Wasser zu setzen, um die Walfangstation in South Georgia zu erreichen …. 1.330 Kilometer entfernt!
Das verhältnismäßig kleine Rettungsboot schaukelte auf einem fast ständig aufgepeitschten, eisigen Südatlantik wie eine Nussschale; sie drohte ständig zu kentern. Und doch, nach fünfzehn Tagen voller Kälte und Entbehrungen, in denen sie sogar einen Hurrikan überlebten, der an anderer Stelle einen 500-Tonnen-Dampfer versenkt hatte, landeten sie erfolgreich an der (allerdings unbesiedelten) Südküste South Georgias.
Zwar hatten Shackleton und seine fünf Kameraden einen der faszinierendsten Segeltriumphe der modernen Seefahrt errungen, aber sie mussten sich im Schneesturm immer noch auf den Weg zur Nordküste machen, dorthin, wo sich die rettende Walfangstation befand. Ausgestattet mit Stiefeln, in die sie Schrauben gedrückt hatten, einer Tischleraxt und einem 20 Meter langen Seil wagten sie einen 51 Kilometer langen Marsch durch extrem gefährliches Gebirge. Nachdem sie von ihren vorhergegangenen Strapazen schon unübersehbar gezeichnet und in ihrer Verfassung äußerst geschwächt waren, schafften sie es dennoch, in einem letzten Kraftakt 36 Stunden durchzumarschieren. Sie erreichten am 20. Mai 2016 auf wundersame Weise die Walfangstation in Stromness.
Was für eine Leistung!!! Aber es war keine Zeit zu verlieren. Mit Hilfe der chilenischen Regierung wurden zwei Schiffe entsandt, um die verbleibende Besatzung zu retten. Am 30. August 1916 wurden, nachdem sie über vier Monate nichts von Shackleton und den anderen Männern gehört hatten, alle 22 auf Elephant Island zurückgebliebenen Männer in Sicherheit gebracht. Das war wohl das Erstaunlichste an dieser eigentlich gescheiterten Expedition: Während der epischen 21-monatigen Reise ging kein einziges Leben verloren.
Warum erzähle ich diese bemerkenswerte Geschichte?
Heutzutage fühlt es sich so an, als ob wir viel Ausdauer (Endurance) brauchen, um die aktuellen COVID-Herausforderungen nicht nur physisch, sondern vor allem auch mental zu meistern. Und ich habe mich gefragt, was wohl Shackletons Männer „am Laufen“ gehalten hat?
Neben der starken Kameradschaft, den täglichen Routinen und Shackletons enormen Führungsqualitäten war es eines der wichtigsten Dinge, dass jedes Besatzungsmitglied etwas hatte, auf das er sich freute, wenn es denn eines Tages wieder nach Hause gehen würde. Einige freuten sich auf „fantastische Steaks“, andere auf „ein Bier in der Kneipe“ und andere darauf „mit ihren Frauen die High Street entlang zu schlendern“.
Was auch immer es war, abends tauschten sie ihre Geschichten und Wünsche für die Zukunft aus. So hielten sie ihre Hoffnungen am Leben – und die Hoffnung sie. Wie ein Nordstern, der selbst in den dunkelsten, kältesten und hoffnungslosesten Stunden hell leuchtet, gaben ihre Träume den Männern Orientierung in einer eigentlich ausweglosen Lage.
Meine heutige Frage lautet deshalb: Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die COVID-Beschränkungen irgendwann verschwinden?
Ich persönlich (und unter der Annahme, dass Reisen noch nicht möglich sein wird) freue ich mich darauf, an Mittwochabenden wieder 7-gegen-7 Fußball zu spielen. Ich vermisse die Scherze mit den Teamkollegen, die bereits einige Tage vor dem Spiel beginnen, während die Aufstellung im WhatsApp-Chat besprochen wird.
Ich vermisse es, mit einem guten Podcast im Ohr zum Platz zu marschieren, und ich vermisse besonders das einstündige Spiel, bei der alles von meinen Schultern zu fallen scheint, und ich nichts anderes im Kopf habe, als die pure Freude. So wie es in meiner Kindheit war.
Ich vermisse es, nach Hause zu kommen, eine heiße Dusche zu nehmen, total erschöpft zu sein und mich trotzdem glücklich zu fühlen. Ich vermisse sogar die nächsten zwei, drei Tage, wenn alles weh tut und ich mich frage, ob ich in der nächsten Woche wieder spielen kann. Aber am darauffolgenden Montag habe ich dann normalerweise wieder ein Lächeln im Gesicht und freue mich darauf, dass es bald wieder losgeht. Ein 7-gegen-7 Fußballmatch an einem kalten Mittwochabend – schon allein die Vorstellung davon lässt mich lächeln und geduldig auf die Zukunft warten.
Und auf was freuen Sie sich am meisten?
Malen Sie es sich doch einmal so detailliert wie möglich in Ihrem Kopf und Ihrem Herzen aus. Genau wie Shackleton’s Männern kann Ihnen etwas Schönes in der Zukunft, auf das Sie sich richtig freuen, helfen, durch diese dunklen und schwierigen Zeiten zu kommen. Bis dahin, bleiben Sie vor allem gesund und weiterhin ausdauernd.
– Euer Jörg
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