Ich war in völliger Panik – verschwitzt, nervös und kurz davor, mich zu übergeben -, als ich an einem Donnerstagnachmittag im März 2012 die Publikumsbühne zur „Busking-Audition“ in Singapur betrat. Zu allem Übel hatte ich für mein Vorspielen erst noch die falsche Location angesteuert, um dann mit einem 1-km-Sprint bei tropischen Temperaturen doch noch auf den letzten Drücker anzukommen. Die fünf „Ringrichter“ luden mich ein, Platz zu nehmen und sagten mir, dass sie bereit seien, wann immer ich es sei.
Mein ganzes Leben hatte ich diesen Traum gehabt: Ein Instrument zu spielen, Menschen zusammenbringen und sie mit einem Lächeln im Gesicht mitsingen zu lassen. Immer wieder hatte ich in der Vergangenheit an Bühnen gestanden, vielmals leicht angetrunken, um mir zu schwören, eines Tages selbst Musiker zu sein.
Aber die notwendigen Schritte dahin unternahm ich nie. Meinem Freund Sascha war meine Sehnsucht allerdings nicht unentdeckt geblieben, und so schenkte er mir 2010 zu Weihnachten eine Gitarre. Mein anstrengender Job und niederschmetternde Erfahrungen während meines Gesangsunterrichts hinderten mich aber daran, meinen Traum zu leben. (Sascha erinnert sich sicherlich an meine verzweifelten Versuche, „Hotel California“ von den Eagles nachzusingen, was meinen Gesangslehrer damals zum Rücktritt veranlasste).
Erst Ende 2011 entdeckte ich eine Art Abkürzung hin zu meinem Traum: die Ukulele. Mit nur vier Saiten war ich relativ schnell in der Lage, vier, fünf Songs zu spielen. Ich war damit der Meinung, ich müsste nun unbedingt Straßenmusik machen als Teil meiner Selbstfindungsreise. „Naiv“ ist wohl ein zu harmloses Wort, um meine Erwartungen treffend zu beschreiben.
Damit man in Singapur auf der Straße Musik machen darf, muss man eine Lizenz erwerben (s. Bild oben), für die ein Vorsingen vor einer Bewertungskommission notwendig ist (Busking-Audition). Und so fand ich mich also im März 2012 auf dieser schicksalshaften Bühne wieder.
Als meinen ersten Song wählte ich „Mr. Tambourine Man“ von Bob Dylan. Der lief sogar recht gut durch – dachte ich zumindest. Also auf zum zweiten Lied, bei dem ich mir nicht viele Fehler leisten wollte, somit das Singen ganz wegließ und nur „zupfte“. Voller Zuversicht machte ich mich dann an den dritten Song („Better Man“ von Robbie Williams). Nach ungefähr 15 Sekunden läutete einer der Juroren eine kleine Glocke und bedankte sich bei mir. Als ich von der Bühne ging, dachte ich, dass ich entweder vollkommen überzeugt hatte – oder total schlecht gewesen war.
Auf die Entscheidung musste ich drei Wochen warten. Als ich das offizielle Schreiben der Kommission in meinen Händen hielt, war klar, dass ich alles andere als überzeugt hatte. Sinngemäß lautete ihr Urteil so: Mein Geklimper war ganz brauchbar gewesen, mein Gesang nicht. Ich war durchgefallen.
Doch ich blieb weiter am Ball, und zwei Jahre später saß ich mal wieder an meiner Gitarre, als mein Freund Mattias Hulting entschied, mir einige Lieder beizubringen. Seine Bemühungen gingen so weit, dass wir sogar ein kleines „Konzert“ auf meinem Balkon spielten. Meine Lernkurve war steil und es kam beim Üben mehrfach vor, dass unser Kater Sebastian miauend zur Tür rannte und versuchte, dem unerträglichen Elend zu entkommen!
Ich wollte aber partout nicht aufgeben und entschied mich, weiter Gitarrenunterricht zu nehmen. Doch es sollte noch bis Ende 2019 dauern, bis ich wirklich einen entscheidenden Fortschritt machte. Es war der 60. Geburtstag meines Schwagers Jürgen in Deutschland und ich hatte Kontakt zu einem seiner Freunde aufgenommen: Ralf Schuricht, ein erfahrener Alleinunterhalter, Musikprofi und Gitarrist. Er schien mir der richtige Mann zu sein, um zusammen zwei, drei Lieder für Jürgen als Geburtstagsüberraschung einzustudieren.
Der überaus charmante, damals schon 71-jährige Ralf gab sofort seine Zustimmung und mit mehreren Telefon- und Skypekonferenzen übten wir intensiv und bereiteten uns akribisch auf unseren Auftritt vor. Mit Erfolg, denn unsere Performance kam richtig gut an.
Die Leute amüsierten sich prächtig und sangen aus voller Kehle mit. Ich muss sagen, dass ich von diesem unerwarteten Triumph doch sehr glücklich, berührt und mächtig stolz war. Sollte mein schon fast zerplatzter Traum vom Musikus doch noch wahr werden? Ich blieb mit Ralf in engem Kontakt und bei meinem nächsten Besuch in Deutschland spielten wir gemeinsam einige Weihnachtslieder in seinem Musikkeller, was für uns beide ein großer Spaß war.
Dann brachte Covid-19 die Welt zum Stillstand. Bei all der Zeit, die wir alle nun zuhause verbrachten, fragte ich Ralf, ob wir nicht regelmäßige WhatsApp-Calls einrichten könnten, um gemeinsam zu musizieren. Ich war wirklich sehr dankbar, dass er mich unter seine Fittiche nahm. Umso mehr, da ich offensichtlich keine Naturbegabung besaß. Doch Ralf war das egal. Er war unermüdlich, zeigte mir Akkorde, Schlagmuster, brachte mir Rhythmus und Gesang bei. Doch was noch viel wichtiger war, er gab mir Selbstvertrauen.
Gleichzeitig begann er damit, selbst ein paar neue Dinge für sich zu lernen und auszuprobieren. Inspiriert von unser beider Lieblingsband „Element of Crime“ tastete er sich in ein neues Musikgenre vor und lernte die Mundharmonika zu spielen.
Drei Jahre übten und experimentierten wir alle zwei Wochen, um schlussendlich auf meinem verspätet gefeierten 50. Geburtstag unseren großen Auftritt zu haben. Endlich konnte ich beweisen, dass ich in der Lage war, 85 Menschen von einer Bühne aus glücklich zu machen und sie zum Singen, Klatschen und Tanzen zu inspirieren. Es war herrlich – und der Lohn für jahrelanges Üben.
Ich hatte nicht nur gelernt, die Gitarre zu zähmen und besser Singen zu lernen, sondern auch einen neuen Freund gefunden. Danke Ralf, dass Du mich als deinen Schüler akzeptiert hast und mir geholfen hast, so weit zu kommen. Ich freue mich jetzt schon auf weitere gemeinsame Rockkonzerte.
Warum ich diese Geschichte erzähle?
Weihnachten steht vor der Tür und es ist die Zeit des Jahres, einen Schritt zurückzutreten, zu reflektieren und auf unsere Träume und Wünsche zu schauen.
Was auch immer du Dir wünschst, trag es in die Welt hinaus. Mache jetzt die ersten kleinen Schritte. Gib nicht auf. Lass das Universum (oder meinetwegen auch den Weihnachtsmann) Dir dabei helfen, Dein Ziel zu erreichen.
In diesem Sinne wünsche ich Dir und Deiner Familie ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Beiliegend noch ein kleiner Weihnachtssong, den die zwei Rock-Stars aufgenommen haben.
Viel Vergnügen und Frohe Weihnachten!
– Euer Jörg
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