Es war der 5. Juli, als im mit Spannung erwarteten EM-Viertelfinale zwischen Gastgeber Deutschland und Turnierfavorit Spanien die 51. Minute nahte. Über die Flügel kam der Ball an der Strafraumkante zum spanischen Mittelfeldspieler Olmo, der cool zum 1:0 einschob. Bis dahin hatte Deutschland in der Partie noch nicht wirklich überzeugen können. Und nachdem das Team in den vergangenen Jahren regelmäßig enttäuscht hatte, sahen sich die Kritiker bestätigt, die behauptet hatten, dass die deutsche Mannschaft noch nicht reif für die großen Aufgaben wäre.
Die Truppe um Routinier Toni Kroos stand also bezüglich ihrer Mentalität und Leistungsfähigkeit vor einer harten Bewährungsprobe. Trainer Nagelsmann wusste, dass seine Spieler neue Impulse und taktische Veränderungen benötigte und nahm mehrere Wechsel und Umstellungen vor. Und tatsächlich; unterstützt von den fantastischen Heimfans kämpfte sich die Mannschaft zurück. Chance um Chance wurde erspielt und doch tickte die Uhr gnadenlos herunter. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit war es aber dann so weit. Youngster Florian Wirtz stocherte einen der vielen Strafraumbälle über die Linie der Spanier und belohnte die Deutschen für einen unermüdlichen Sturmlauf.
In der Verlängerung schenkten sich die beiden Spitzenteams dann nichts und lieferten die wohl beste Performance des gesamten Turniers ab. Nachdem sich alle schon auf ein Elfmeterschießen eingerichtet hatten, schaffte es der Spanier Merino, mit einem artistischen Kopfball die Partie in der 119. Minute zu entscheiden. Doch selbst dann ließen die Deutschen die Köpfe nicht hängen und Stürmer Niklas Füllkrug verfehlte das Tor mit einem schönen Kopfball nur um wenige Zentimeter. Aber es sollte an diesem Tag nicht sein. Deutschland verlor und der Traum vom Gewinn der „Heim-EM“ endete für den Gastgeber bereits im Viertelfinale.
Was allerdings nach diesem denkwürdigen Viertelfinale geschah, war bemerkenswert. Obwohl Deutschland verloren hatte (und es wurde viel über einen nicht gegebenen Elfmeter gesprochen), waren alle der Meinung, dass die Leistung der deutschen Mannschaft die Fans und das ganze Land stolz gemacht hatten. Nach acht Jahren der Flaute, in denen Deutschland bei internationalen Turnieren kaum über die Gruppenphase hinausgekommen war, hatte das Team sichtbar zu den großen Fußballmächten der Gegenwart wie Spanien, Frankreich, England und den Niederlanden aufgeschlossen.
Dies war eine enorme Leistungssteigerung, angesichts einer ganzen Anzahl von ernüchternden Ergebnissen vor dem Turnier, darunter Niederlagen gegen Österreich, die Türkei, Japan, Polen und Kolumbien. Die deutschen Fans hatten für die EM 2024 ein weiteres Desaster erwartet. Aber der Trainer und das Team waren bereit und gewannen ihre Herzen zurück.
Während der Pressekonferenz am Tag nach der Viertelfinalniederlage stellte sich ein sichtlich angefasster Nationaltrainer den Fragen der Presse. An einer Stelle konnte Julian Nagelsmann seine Tränen nicht zurückhalten und wurde sehr emotional, als er vom Zusammenhalt, der positiven Stimmung und dem Rückhalt der Mannschaft in den letzten Wochen sprach.
Überwältigt von Emotionen beschrieb er die Situation so: „Es gab eine Symbiose zwischen der Mannschaft und den Menschen im Land und ich hoffe, dass wir diese Symbiose in noch wichtigeren Bereichen fortsetzen können. Wenn wir immer nur in Trübsinn verfallen und alles schwarzmalen, wird sich nichts verbessern. Das gilt ebenso für den Fußball wie für das alltägliche Leben.“
Als ich während des Viertelfinales zu Besuch in Deutschland war, spürte ich, dass sich die Niederlage gegen Spanien nicht unbedingt wie eine Niederlage anfühlte, sondern eher wie ein wichtiger Schritt zurück zur Wiedererlangung der Qualitäten, die die deutsche Mannschaft und Nation auszeichnen: ein Geist des Nichtaufgebens, des Ergreifens von Chancen und der enge Zusammenhalt als Team.
Warum erzähle ich diese Geschichte?
Ich denke, diese Europameisterschaft hat die Herzen vieler Menschen berührt. Innerhalb sehr kurzer Zeit wurden tief verwurzelte Gefühle von ebenso großer Freude, wie tiefer Trauer freigesetzt. Angesichts der Lage in der Welt mit ihren Konflikten, Kriegen, Krisen, Unsicherheiten und bevorstehenden Wahlen gibt es viel Grund zur Sorge. Aber ich denke, was wir aus dieser Europameisterschaft mitnehmen können, ist ein Geist der Zusammengehörigkeit, der Positivität und der Idee, dass Gefühle zu zeigen, nichts ist, wofür man sich schämen muss.
Nagelsmann fügte in dieser Pressekonferenz hinzu: „Mir wurde gesagt, dass es nicht oft vorkommt, dass fast jeder Spieler, der das Trainingslager verlässt, Tränen in den Augen hat.“ Es war berührend und unerwartet, dass ein deutscher Nationaltrainer weinte, was ihn sympathisch, authentisch und menschlich machte. Er drückte aus, was viele Deutsche fühlten, und zeigte, dass Jungen manchmal weinen und das aus gutem Grund.
Ich persönlich glaube, wir alle können ein bisschen mehr tun, um zu teilen, wie wir uns wirklich fühlen, nicht in einer großen Pressekonferenz, sondern vor allem mit unseren Freunden und Familie. Das wird uns sicher einander näherbringen. Wir können damit auch auf andere zugehen, ihnen helfen und sie unterstützen, und mit diesem Zusammenhalt können wir schwierige Zeiten mit einem Lächeln im Gesicht überstehen. So können wir vielleicht alle gemeinsam in einem Spiel gewinnen, das momentan durchaus etwas schwierig und düster aussehen kann.
Auf geht’s!
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