Photo: Airwolfhound, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons
Im Zweiten Weltkrieg gab es ein Flugzeug, das weit mehr Bomben abwarf als jedes andere. Die Boeing B-17 operierte aus großen Höhen und wurde deshalb auch als „Fliegende Festung“ berühmt. Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten sollten sich als entscheidend für die Unterstützung des Feldzugs der Alliierten gegen die deutsche Armee erweisen.
Dieser Bomber bot genügend Platz für eine zehnköpfige Besatzung, und es war deshalb auch kein großes Wunder, dass Piloten und Crew eine fast schon persönliche Zuneigung für ihr zweites Zuhause hoch oben in den Lüften hegten. In einem Frontbericht hieß es: „Sie wird dich nicht nur ans Ziel bringen und ihren Job erledigen, sondern sie wird sich auch aus allen Schwierigkeiten herauskämpfen, harte Schläge wegstecken und dich sicher nach Hause bringen.“
Bei all ihren Vorzügen hatte die „Fliegende Festung“ aber doch auch eine Achillesferse: das Landen.
Eine hohe Anzahl von Flugzeugen stürzte bei der Landung ab, was nicht nur zu erheblichen Schäden an den Flugzeugen führte, sondern vor allem auch zum Verlust einer nicht unerheblichen Zahl von Besatzungsmitgliedern. Allerdings wurden nicht technische Unzulänglichkeiten der Maschinen, sondern oftmals die Piloten für die Unfälle verantwortlich gemacht. Diese nahmen die Verantwortung tatsächlich meist auf ihre Kappe, hauptsächlich aufgrund von Übermüdung, Bedienungsfehlern oder unvorhersehbaren Ereignissen.
Die US Air Force wollte das Problem schnell lösen und gab deshalb, unter der Leitung der Psychologen Alphonse Chapanis und Paul Fitts, eine Studie in Auftrag. Als die zwei Fachleute mit ihrer Arbeit begannen, war es im Laufe von 22 Monaten zu mehr als 400 Landungsunfällen gekommen. Alle Havarien waren in gewisser Weise auf ähnliche Art zustande gekommen, also war der erste Schritt, die abgestürzten Piloten zu befragen.
Sehr schnell zeichnete sich ein überraschendes Muster ab, welches die Analysten dazu veranlasste, ihre Aufmerksamkeit auf die Bedienelemente im Cockpit des Flugzeugs zu richten. Es stellte sich heraus, dass es zwei nahezu identische Kippschalter gab, die unmittelbar nebeneinander angeordnet waren. Einer war dafür da, das Fahrwerk einzufahren. Der andere löste die Landeklappen aus.
Offenbar verwechselten die müden Piloten, wann immer sie von einem schwierigen und langen Kampfflug zurückkamen, oft die beiden Schalter. Sie dachten, sie würden die Landeklappen ausfahren, um die Geschwindigkeit zu reduzieren, stattdessen griffen sie aber zum falschen Schalter, wodurch die Räder des Fahrwerks wieder eingefahren wurden, und das Flugzeug so eine Bruchlandung hinlegte.
Die Ursache war also kein „Pilotenfehler“, sondern eine Fehlkonstruktion im Aufbau der Armaturen. Lösung: Die Schalter wurden im Cockpit nicht nur getrennt, sondern erhielten auch eine andere Farbe und Form. Mit dieser Korrektur gehörten die Unfälle der Vergangenheit an. Der Fall war abgeschlossen.
Warum erzähle ich diese Geschichte?
Als ich von diesem Fall hörte, fragte ich mich, was wäre, wenn es hierzu eine nützliche Analogie gäbe: zwischen den müden Piloten der „Fliegenden Festung“ und uns, die oft vom Alltag, von Situationen in unseren Beziehungen oder von unserer Arbeit gestresst den falschen Schalter bedienen. Erinnere dich vielleicht an ein schwieriges Gespräch mit dem verärgerten Chef, an den jüngsten Streit mit dem Ehepartner oder an die Aufregung, eine äußerst wichtige Präsentation geben zu müssen.
Wir alle spüren gelegentlich Stress und werden dann getriggert.
Wie stellen wir in einer solchen Situation sicher, dass wir den richtigen Schalter betätigen. Dass wir die Flügelklappen verwenden, um das Flugzeug sicher zu landen, statt das Fahrwerk einzuziehen und eine Katastrophe zu verursachen? Wie bleiben wir in solchen Trigger-Situationen ruhig und reagieren überlegt?
Als ich las, wie akribisch die Psychologen die Grundursachen bewerteten, fiel mir ein Werkzeug ein, das ich häufig bei meinen Klienten und für mich selbst verwende. Es ist das Arbeitsblatt „Gedanken-Gefühle-Verhalten“ (GGV), das im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) entwickelt wurde.
In diesem Zusammenhang kann es sehr nützlich sein, aufzuschreiben, was du in einer stressigen, reaktiven Situation durchgemacht hast. Welche Gedanken kamen zum Beispiel auf? Wie haben sich diese auf deine Gefühle ausgewirkt und welche Verhaltensweisen wurden ausgelöst? Die Erkenntnisse, die du gewinnst, können ebenso augenöffnend sein wie die Erkenntnisse aus der Dekonstruktion der B-17-Unfälle.
Hier ist ein klassisches Beispiel für eine solche „Ursachenanalyse“.
Sobald wir wissen, was uns „triggert“ und wie wir reagieren, können wir beginnen, „die richtigen Schalter umzulegen“. Dies könnte bedeuten, eine Verschnaufpause einzulegen, sich aus der Situation zu entfernen, um eine kurze Auszeit zu bitten oder mit Hilfe eines „Ankers in den Erwachsenen-Status“ zu wechseln, wie ich es in einem früheren Newsletter beschrieben habe.
Es gibt viele Coaching-, Therapie- und Achtsamkeitsübungen, die uns dabei helfen können, „den Schalter umzulegen“, um beim nächsten Mal, wenn wir mit einer ähnlichen Situation konfrontiert werden, anders zu reagieren.
Am wichtigsten ist, dass wir zunächst genau verstehen, was in diesen auslösenden Situationen passiert, bevor wir daraus lernen und unsere Reaktionen verbessern können. Der Prozess unterscheidet sich nicht so sehr von der Analyse von Flugzeugabstürzen.
Meine heutige Herausforderung an dich ist deshalb einfach: Beobachte in den kommenden Tagen, welche Situationen dich triggern und welche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen du dann an dir bemerkst. Ich wette, du wirst nicht nur neue Erkenntnisse darüber gewinnen, was vor sich geht und welche Schalter du in diesen schwierigen Situationen betätigst, sondern du wirst auch beginnen, diese Situationen besser zu verarbeiten. Das wird dir helfen, in Zukunft den richtigen Schalter zu finden – und sicherer zu landen.
Und falls Du einen Coach brauchst, der mit dir daran arbeitet, kennst du bestimmt jemanden, den du kontaktieren kannst :-)!
Safe Landing!
Jörg
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