Es war ein kalter und regnerischer Tag im April 1984, als der 17-jährige Petr Svoboda eine – wie sich später herausstellte – folgenschwere Entscheidung traf. Zusammen mit seinen Teamkollegen der tschechoslowakischen U18-Eishockeynationalmannschaft hatte er gerade Schweden in der Endrunde der Europameisterschaft mit 4:2 niedergerungen.
Doch während seine Kameraden und der Trainer den wichtigen Sieg in der Umkleidekabine feierten, packte der noch nicht mal volljährige Teenager unbemerkt seine wenigen Habseligkeiten zusammen, schnappte sich seinen Regenschirm – und verließ sein altes Leben.
In München, wo die EM stattfand, wohnte eine Tante, und zu der machte sich Svoboda auf den Weg. Europa war zu diesem Zeitpunkt durch einen „Eisernen Vorhang“ getrennt. Ein solcher Schritt von Ost nach West war deshalb unumkehrbar und zog gewaltige Konsequenzen nach sich.
Petr Svoboda‘s Eltern arbeiteten beide in gehobenen Stellungen und wurden nach der Flucht ihres Sohnes sofort entlassen. In einzelnen Verhören wurden sie aufreibenden Nachprüfungen unterzogen. Doch das war längst nicht das Schlimmste. Denn unter den damaligen politischen Verhältnissen war nicht klar, ob sich Sohn und Eltern jemals wiedersehen würden.
Petrs Traum, einmal in der berühmten NHL (National Hockey League) zu spielen, schien das alles jedoch wert zu sein. Er wurde Wirklichkeit. Er hatte eine überaus erfolgreiche Karriere in der NHL und bestritt dort mehr als 1.000 Profispiele. 1986 gewann er mit den Montréal Canadiens den Stanley Cup. Und nach dem Fall der Berliner Mauer sowie dem Ende des Kalten Krieges 1989 konnte er seine Eltern und Freunde in der Heimat wieder in die Arme schließen.
Die NHL war die eine verwirklichte Sehnsucht des jungen Tschechen gewesen. Eine andere war die, für sein Heimatland an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Nachdem das Internationale Olympische Komitee und der NHL-Verband eine Vereinbarung darüber getroffen hatten, dass auch die Profi-Spieler der nordamerikanischen Eishockeyliga an den Spielen teilnehmen durften, wurde auch dieser Traum 1998 wahr.
Große Favoriten für das Turnier in jenem Jahr waren allerdings andere Teams. Die USA, vor allem aber Kanada mit ihrem Superstar Wayne Gretzky. Das tschechische Team schlug sich recht gut in der Vorrunde, eine 1: 2-Niederlage gegen den Erzrivalen Russland bedeutete allerdings ein Duell mit den USA im Viertelfinale. Auf den Sieger würde anschließend Kanada warten. Das Finale zu erreichen, schien für die Tschechen aussichtslos.
Genau das begannen auch die ersten 20 Minuten der Partie gegen die USA zu bestätigen. Die Amerikaner waren drückend überlegen und nur Torhüter Dominik Hašek war es zu verdanken, dass es bei einem schmeichelhaften 1:0 für die USA nach dem ersten Drittel blieb. Was danach aber passierte, ist eines der großen Eishockeymärchen des vergangenen Jahrhunderts, wobei keiner der tschechischen Spieler je verriet, was in der Pause vom Ersten zum zweiten Drittel in der tschechischen Kabine vorgefallen ist.
Gerüchten zufolge soll Trainer Ivan Hlinka den Fanbrief einer älteren Dame vorgelesen haben, in dem sie beschrieb, wieviel ihr der Erfolg der Eishockeynationalmannschaft bedeuten würde. Fakt ist, dass die Mannschaft wie ausgewechselt aus der Pause kam und die USA sensationell mit 4:1 besiegte. Noch enger sollte es im Halbfinale gegen die hochfavorisierten Kanadier zugehen. Dieses Spiel endete nach Verlängerung 1:1. Das anschließende Penaltyschießen gewannen die Tschechen hauchdünn.
Nun stand das Finale ausgerechnet gegen den Erzrivalen Russland bevor. Und diese Partie war eindeutig nicht nur eine Sport-Rivalität, sondern auch die Geschichte eines Dominators gegen einen Unterdrückten. Der Prager Frühling, der von russischen Panzern niedergewalzt wurde, ist nur die eine Seite. Die andere eine jahrzehntelange Gefolgschaft unter sowjetischem Diktat. Jetzt, knapp zehn Jahre nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft, war die Zeit reif für eine historische Revanche.
In einem nervenaufreibenden Spiel machte ein Tor den Unterschied – und das erzielte ausgerechnet Petr Svoboda. Und dies ist der bewegende Teil der Geschichte für mich, denn „Svoboda“, das bedeutet im Tschechischen: Freiheit!
Warum erzähle ich diese wunderbare Geschichte?
Dazu muss ich einen persönlichen Hintergrund beschreiben. Ich bin in der DDR aufgewachsen. Meine Mutter erzählte mir damals immer viel von meinem Großvater. Als Ingenieur reiste er in den sechziger Jahren vom Osten in den Westen und schickte Postkarten aus Stockholm, Mailand, London und anderen Städten. Sein großer Wunsch war es immer gewesen, diese Orte eines Tages meiner Großmutter und meiner Mutter zeigen zu können.
Dazu ist es leider nie gekommen. Nicht unter den damaligen Verhältnissen, die ab dem Mauerbau 1961 Reisen in den Westen für normale Bürger praktisch unmöglich machten. 1971 starb mein Großvater an Krebs.
Über 50 Jahre später schreibe ich diesen Newsletter in London, eine der Städte, die mein Großvater so sehr liebte. Bis heute hat meine Mutter das Souvenir (siehe Bild unten links), welches mein Opa ihr damals aus London mitbracht hatte, aufgehoben.
Und nun, nach so langer Zeit, reisten meine Eltern im August zum ersten Mal in ihrem Leben in diese Stadt, um mich zu besuchen. Weil dies nun möglich ist. Denn jetzt gibt es die Freiheit das zu tun.
Diese Freiheit ist etwas, was wir mittlerweile vielleicht als selbstverständlich ansehen. Doch nach wie vor bin ich sehr dankbar, dass wir sie haben. Die Geschichte des tschechischen Eishockeyspielers Petr Svoboda und der Besuch meiner Eltern in London, brachte das Gefühl von Dankbarkeit mit voller Kraft für mich zurück.
Freiheit ist wie Luft: Du nimmst sie nicht wirklich wahr, aber ohne sie erstickst du.
Meine Herausforderung für heute dreht sich deshalb um das Thema Dankbarkeit.
Frag Dich: Wofür bist du dankbar … genau hier und genau jetzt? Wenn Du magst, teile ein zwei Dinge für die Du dankbar bist mit mir. Darüber würde ich mich sehr freuen.
Euer Jörg
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