Vor genau zehn Jahren, als ich noch bei Procter & Gamble (P&G) arbeitete, schlitterte ich in meine bis dahin größte berufliche Krise. Sie hat mich dazu gebracht, innezuhalten und letztlich das Unmögliche zu tun: Ich meldete mich zum allerersten und einzigen Mal in meinem Leben ohne echten Grund krank.
Was war passiert? Ich war gefangen im berühmten Drama Dreieck aus Ankläger, Retter, Opfer – und wusste keinen Ausweg mehr.
Zu diesem Zeitpunkt leitete ich ein kleines Team von internen Beratern, deren Ziel es war, die Planungssysteme und -abläufe im großen Beauty & Grooming-Geschäft von P&G zu verbessern.
Ich hatte in dieser Position gerade meine Tätigkeit aufgenommen, als wir in einer der größeren Produktionsstätten einen massiven Engpass in der Verfügbarkeit von Vormaterialien für die Herstellung von unseren Produkten verzeichnen mussten. Aus diesem Grund konnten die Verbraucheranfragen nicht mehr befriedigt werden, und jeden Tag gingen dem Unternehmen Millionen Dollar an Verkäufen verloren.
Die Geschäftsleitung wurde umgehend über das Problem informiert, und obwohl ich nicht verantwortlich war, da ich nicht das Tagesgeschäft leitete, dauerte es nicht lange, bis ein leitender Angestellter mich und mein Team für die Situation zur Rechenschaft ziehen wollte. Er fragte mich, wie ich es schaffen wolle, „das Problem bis zum Ende der Woche zu beheben?“
Die darauffolgenden Ereignisse und Gespräche erzeugten in mir eine Art vergiftetes Selbstgespräch. So richtig in den Strudel nach unten geriet ich aber, als ich begann, mich selbst zu beschuldigen, dass ich die Situation nicht früher hatte „kommen sehen.“ Ich beschuldigte natürlich auch den unnötig aggressiven Direktor, und zwar dafür, dass er mich „zu sehr gedrängt hatte“ und allgemein einfach „unfair“ zu mir gewesen sei, indem er die Erwartung an mich gerichtet hatte, ich solle die Sache „selbst wieder in Ordnung bringen.“ Darüber hinaus kam ich mir aber auch noch dumm und unfähig vor, weil ich nicht die richtigen Lösungen zur Hand hatte, um „die Situation zu retten.“
Ich begann also all den Druck, die Erwartungen und die Verantwortung auf meine eigenen Schultern zu laden, da ich das Gefühl hatte, dass ich der „Retter“ sein müsste. Doch ich war insgesamt so negativ eingestellt, dass ich keinen Ausweg finden konnte. Mit überraschender Geschwindigkeit wurde ich vom „Ankläger“ über den „Retter“ zum „Opfer“. Ich war hilflos, verloren und festgefahren. Ich hatte das Gefühl, dass ich weder genügend Wissen noch die Beziehungen hatte, um diese Situation aufzulösen. Hoffnungslos und in dem Gefühl, verlassen zu sein, meldete ich mich also krank.
Jahre später, als ich noch einmal auf diese Episode zurückblickte, wurde mir klar, dass ich mich damals in dem oben erwähnten Drama-Dreieck festgefahren hatte. Dieses vom Psychologen Stephen Karpman entwickelte Modell bildet destruktive Interaktionen ab, die zwischen Menschen in Konflikten auftreten können, beschreibt aber auch, was in unseren inneren Konflikten vor sich gehen kann.
Im Nachhinein wurde mir klar, dass ich – als die Ereignisse im geschilderten Fall außer Kontrolle gerieten – alle drei Rollen auf einmal gespielt hatte. Sicherlich bin ich dabei nicht der einzige gewesen, denn genau das passiert öfter und vielen mehr, als wir gemeinhin in solche Situationen annehmen würden.
Was können wir aber tun, um diese zerstörerische Abwärtsspirale zu durchbrechen, die wir alle wahrscheinlich in dem einen oder anderen Ausmaß schon erlebt haben?
Vor exakt zehn Jahren half mir meine Krankmeldung, die dringend benötigte Perspektive wiederzugewinnen. Anstatt ins Büro zu gehen, hüpfte ich auf meinen Roller und fuhr zum Botanischen Garten in Singapur, wo ich alte Frauen bei ihren friedlichen Tai-Chi Morgenübungen beobachtete. Ich setzte mich hin und fing an aufzuschreiben, was passiert war und wie ich mich fühlte. Das Ausgießen der Worte auf Papier half mir zu verarbeiten, was passiert war und immer noch vor sich ging. Und es nahm den Druck des Gefühls von mir, dass ich das alles selbst und ganz allein in Ordnung bringen müsste.
Ich teilte das Geschriebene mit zwei vertrauten Freunden, und ihre Ermutigung und Unterstützung gaben mir neue Hoffnung und positive Energie zurück, um die Situation mit neuen Augen zu betrachten.
am, Schritt für Schritt, begann ich, meinen inneren „Ankläger“ durch den „Herausforderer“ zu ersetzen. Ich fragte mich: „Was kann ich in dieser Situation lernen?“ Und: “Wie kann ich daran wachsen?”
Gleichzeitig begann ich, den „Retter“ durch einen „Coach“ zu ersetzen. Ich fing an, Fragen zu stellen. “Was könnten die möglichen Ursachen sein?” Und: „Wie hatte ich in der Vergangenheit ähnliche Fälle behandelt?“ Mit dieser Verschiebung wich das „Opfer“ langsam dem „Schöpfer“, der begann Nachforschungen anzustellen: „Welche kleinen nächsten Schritte könnte ich unternehmen, um die Situation zu lösen?“
Am Abend buchte ich für den nächsten Tag einen Flug zur Produktionsstätte und lud zwei meiner Teammitglieder ein. Wir setzten uns einen ganzen Tag lang zusammen und diskutierten konstruktiv mit dem Team im Werk die vorliegenden Fakten. Schon am selben Nachmittag war klar, was passiert war, und am Ende der Woche präsentierten wir dem Management unseren Lösungsvorschlag. Der wurde genehmigt. Das Problem war gelöst, der Fall abgeschlossen.
In Erinnerung an diese – genau zehn Jahre zurückliegende – Geschichte ist meine Herausforderung an Sie heute, immer dann, wenn Sie in einer Konfliktsituation mit anderen Menschen oder mit sich selbst stecken, den „Drama-Dreiecks-Check“ zu machen. Wer sind Sie gerade: Ankläger, Retter, Opfer? Und wie finden Sie aus diesen Rollen heraus?
Treten Sie einen Schritt zurück, teilen Sie die Situation mit einem Freund oder vertrauenswürdigen Kollegen und beginnen Sie, den Ankläger durch den Herausforderer, den Retter durch den Coach und das Opfer durch den Schöpfer zu ersetzen.
Das ist der Schlüssel, um solche herausfordernden Situationen – so entmutigend sie temporär auch erscheinen mag – als wunderbare Gelegenheiten für persönliches Wachstum und berufliche Entwicklung zu sehen. Und nicht als Treibsand wahrzunehmen, der Sie persönlich als auch beruflich bedroht, darin unterzugehen.
-Jörg
Anke Jott says
Das ist einer der besten Beiträge, die ich zum Ausstieg aus dem Dramadreieck je gelesen habe. Sehr erhellend und einleutend.
Dankeschön.
Joerg Kuehn says
Vielen Dank fuer deine Feedback Anke. Freut mich sehr das zu hoeren!