Phtoto: Helena Lindnord – AleSocci-GreenPixel_Ecomotion_2013-0353, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=140698198
Mikael Lindnord war Adventure-Racer aus tiefstem Herzen. Seit 1997 hatte er sich einem der wohl härtesten Ausdauersportarten der Welt verschrieben: eine Disziplin, die Mountainbiking, Trailrunning, Kajakfahren, Klettern, Schwimmen und manchmal auch Kriechen durch schlammigen Dschungel miteinander verbindet. Gewonnen hat das Team, das eine Strecke von 600 bis 800 Kilometern in der kürzesten Zeit zurücklegt. Spitzenmannschaften brauchen dafür meist 4,5 bis 6,5 Tage und schlafen insgesamt nur rund sechs Stunden. Brutal. Hart. Und doch wunderschön.
Für Mikael war es sein Leben. 2010 führte er als Teamkapitän die erste schwedische Mannschaft zum Sieg bei einem internationalen Top-Wettbewerb in Costa Rica. Doch die darauffolgenden Jahre waren schwer. Verletzungen, Rückschläge, knappe Platzierungen – Dinge, die selbst die Stärksten zermürben. Und das alles, während die Zeit nicht stehen blieb: Mikael näherte sich seinen Vierzigern.
Als 2014 die Weltmeisterschaft in Ecuador anstand, war klar: Das ist mehr als nur ein Rennen. Es war seine Abschiedstour. Ein letzter Versuch für einen Triumph. Mikael war auf Rang sechs der Weltrangliste, aber sein Traum war klar: als Weltmeister abtreten. Er war bereit, alles dafür zu geben.
Der Start des Rennens verlief holprig. Das Team hatte Mühe, sich an die Bedingungen vor Ort zu gewöhnen. Doch nach vier Tagen hatten sie sich in die Top Drei vorgearbeitet. Die Stimmung war gut. Bei einem der vorgeschriebenen zweistündigen Pausenstopps – einer seltenen Atempause – setzte sich das Team zum Essen hin.
Sie hatten ein Stück Heimat dabei: schwedische Fleischbällchen. Als Mikael seine Mahlzeit auspackte, bemerkte er einen Hund, nur wenige Meter entfernt. Zersaust. Abgemagert. Humpelnd. Man musste kein Tierarzt sein, um zu erkennen: Dieser Hund hatte einiges hinter sich.
Mikael spürte sofort einen Stich im Herzen. Er reichte dem Hund ein paar Fleischbällchen.
Photo by Helena Lindnord – Mikael Lindnord and the straydog Arthur in Ecuador, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=140395127
Die waren in Sekundenschnelle weg, und selbst die Soßenreste am Beutel wurden gründlich aufgeleckt. Mikael lächelte. Doch die Pause war schnell vorbei. Die Uhr lief weiter. Das Team machte sich wieder auf den Weg.
Ein paar Kilometer weiter: Mikael blickte zur Seite – und stockte. Der Hund war noch da. Er folgte ihnen.
Durch Hitze, Matsch und Dschungel blieb er dran. Immer in der Nähe. Mikael sprach ihn irgendwann an: „Willst du das wirklich durchziehen?“ Der Hund antwortete nicht. Aber er blieb bei ‘seinem Team’.
In der Nacht gab Mikael ihm einen Namen: Arthur. Wie der König. Später sagte Mikael: „Auch wenn er verwundet war und schwer gezeichnet, hatte er etwas Königliches an sich. Er hatte den Namen völlig verdient.“
Von da an waren sie zu fünft. Und das veränderte alles. Sie halfen Arthur durch tiefen Matsch, hoben ihn über Baumstämme, teilten ihr Essen. Er wirkte schwach, aber er machte weiter. Immer weiter.
Am fünften Tag erreichten sie den letzten Abschnitt: eine 55 Kilometer lange Kajak-Etappe bis zur Ziellinie. Mikael blickte zu Arthur und scherzte: „Und, was hast du jetzt vor?“ Doch die Antwort kam leider von den Veranstaltern: „Hunde dürfen nicht ins Kajak. Zu gefährlich.“
Mikael musste sich also von Arthur verabschieden. Schweren Herzens. Nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten. Es war schwer. Arthur stand am Ufer und sah zu, wie sein Team davonpaddelte.
Mikael drehte sich nicht um. Es tat zu weh. Doch dann: ein lauter Platsch. Arthur war ins Wasser gesprungen. Entschlossen, seinem Team zu folgen. Er war kein guter Schwimmer. Jeder Paddelschlag zeigte: Er wird es nicht schaffen.
Jetzt musste Mikael entscheiden: das Rennen – oder der Hund?
Er drehte um.
Photo: Krister Göransson
Sie zogen Arthur ins Kajak. Versteckten ihn vor den Veranstaltern. Und wussten: Der Podiumsplatz war futsch. Aber das zählte jetzt nicht mehr. Sie kamen als Zwölfte ins Ziel. Alle fünf zusammen.
Warum erzähle ich diese Geschichte?
Mikaels Ziel war klar: den letzten Wettkampf gewinnen. Aber das Leben hatte andere Pläne. Etwas Unerwartetes passierte – und stellte ihn vor eine Wahl. Er hätte wegsehen können. Weiterpaddeln. Hat er aber nicht. Er hat sich für das entschieden, was wirklich zählte.
Auch wir rennen oft stur auf unsere Ziele zu. Erfolg. Beförderung. Status. Fortschritt. Doch was, wenn – wie Arthur – etwas auftaucht, das vielleicht wichtiger ist? Etwas Menschliches. Sinnvolleres.
Vielleicht ist es unsere Gesundheit? Eine Beziehung? Eine gute Tat? Oder einfach der Moment, mal langsamer zu machen?
Deshalb meine Frage an dich:
Gibt es etwas, auf das du gerade mit voller Energie hinarbeitest – und könnte es sein, dass dabei womöglich etwas anderes in den Hintergrund rückt, das dir eigentlich noch viel mehr bedeutet?
Was ist dein “Arthur”?
Ignoriere den Platsch nicht. Es muss nicht immer um das Gewinnen gehen. Vielleicht liegt das Wertvollste am Wegesrand?
Bis dahin – Frohes Paddeln!
Joerg
P.S.: Mikael und Arthur’s Geschichte ist sehr schön beschrieben im Buch Arthur – Der Hund, der den Dschungel durchquerte, um ein Zuhause zu finden, und in der Verfilmung Arthur the King. Falls du wissen möchtest, wie es nach dem Rennen mit Arthur weiterging (ohne Spoiler), findest du hier mehr.
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