Dr. Derek Summerfield ist ein südafrikanischer Psychiater, der in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in internationalen Krisengebieten unterwegs war, um die Folgen für die menschliche Psyche zu untersuchen. Unter anderem war er in Kambodscha, um die psychischen Gesundheitseffekte, die durch die Existenz unzähliger Landminen auf die lokale Bevölkerung entstehen, zu erforschen.
Zufälligerweise wurden in dieser Zeit gerade Antidepressiva in der Region eingeführt. Dabei ergab sich das Problem, dass es in der lokal vorherrschenden Khmersprache kein Wort gab, welches den Zustand einer Depression hätte beschreiben können. Deshalb erklärte Dr. Summerfield den örtlichen Ärzten, dass eine Depression „eine tiefgreifende Traurigkeit ist, die die Menschen manchmal einfach nicht abschütteln können“ und dass sie dafür die entsprechenden Medikamente (Antidepressiva) einsetzen könnten.
Die lokalen Ärzte erklärten Summerfield daraufhin, dass sie solche Zustände durchaus kennen würden, jedoch keine Antidepressiva für deren Behandlung benötigten. Als Beweis erzählten sie die Geschichte eines Bauern aus einem nahegelegenen Dorf. Dieser war bei der Arbeit auf dem Reisfeld auf eine Landmine getreten, die aus dem Vietnamkrieg in den 1970er Jahren übrig geblieben war.
Zwar überlebte der Bauer die Explosion, aber er verlor eines seiner beiden Unterschenkel. Nachdem man ihm eine äußerst dürftige Prothese angelegt hatte, kehrte der Mann auf die Reisfelder zurück, versank aber in einen Zustand ständiger Angst und seelischer Düsternis.
Als Dr. Summerfield einwandte, dass Antidepressiva in genau solchen Situationen helfen könnten, schüttelten die kambodschanischen Ärzte entschieden die Köpfe und erklärten, dass die Depression des Bauern bereits „geheilt“ worden sei … und das ganz ohne den Einsatz von Medikamenten.
Denn als die Dorfbewohner bemerkten, wie ihr Mitbewohner mehr und mehr ins Straucheln geriet, begannen sie, Ärzte zu konsultieren und erörterten gemeinsam, wie sie dem Mann helfen könnten. Sie entschieden sich dabei für eine sehr simple, aber oft übersehene Praxis: Sie setzten sich hin und hörten ihm einfach zu.
Der Bauer teilte seine Ängste und seinen Schmerz. Er hatte nicht nur mit den physischen Herausforderungen seiner Arbeit als Einbeiniger zu kämpfen, sondern vor allem mit der Angst, auf eine weitere Landmine zu treten. Schließlich erkannte er, dass die Rückkehr auf die Reisfelder keine Option und damit die Fortsetzung seiner früheren Arbeit unmöglich war.
Dann hatte jemand eine geniale Idee: eine Kuh.
Da der Bauer selbst nicht mehr in der Lage war, die körperlichen und geistigen Anforderungen des Reisanbaus zu bewältigen, schlug die Dorfgemeinschaft vor, ihm eine Kuh zu kaufen. Damit würde er in der Lage sein, vom Verkauf der Milch zu leben, statt vom Reisanbau abhängig zu sein. Das gesamte Dorf sammelte Geld und trug somit zum Kauf der Kuh bei.
Bald schon begann sich der Gemütszustand des Bauern grundlegend zu ändern. Er hatte plötzlich einen neuen Sinn, einen neuen Lebensunterhalt und ein Gefühl von Hoffnung. Seine Depression verflüchtigte sich.
Die kambodschanischen Ärzte erklärten Dr. Summerfield: „Wie Sie sehen, war die Kuh sein Antidepressivum!“ Für die Ärzte war ein Antidepressivum keine Pille, die die biochemischen Vorgänge im Gehirn veränderte. Es war vielmehr die Unterstützung der Gemeinschaft, das tatsächliche Zuhören und das gemeinsame Bereiten eines Weges aus der Verzweiflung.
Dr. Summerfield reflektierte die Geschichte des Bauern in Bezug auf seine frühere Arbeit in einem führenden Londoner Krankenhaus und musste seinen kambodschanischen Kollegen zustimmen: „Wenn ich wirklich etwas Nachhaltiges bei Depressions-Patienten verändern möchte, dann muss es mir gelingen, die soziale Situation meiner Patienten zu verbessern, nicht nur das, was zwischen ihren Ohren geschieht“ (in Bezug auf die Fähigkeit von Antidepressiva, die Gehirnchemie zu verändern).
Die Geschichte des Bauern wird auch in Johann Haris bahnbrechendem Buch zu Depressionen („Der Welt nicht mehr verbunden: Die wahren Ursachen von Depressionen – und unerwartete Lösungen“) erzählt, in dem weitere Fälle dargestellt werden, wie einfaches Zuhören und das Arbeiten mit dem Patienten geholfen haben, Depressionen nachhaltig zu verbessern.
Wenn wir uns nun der Weihnachtszeit nähern, finde ich, kann die Geschichte des kambodschianischen Bauern als schöne Erinnerung an die Kraft des Zuhörens und des Mitgefühls gelten.
Manchmal sind die größten Geschenke, die wir geben können, nicht materiell. Sie sind unsere Zeit, unser Verständnis und unsere Unterstützung. Indem wir uns einen Moment Zeit nehmen, um mit jemandem zusammenzusitzen und von seinen Ängsten und Kämpfen zu erfahren, können wir ihm oder ihr helfen, das eigene „Antidepressivum“ zu entdecken … einen Funken Hoffnung, einen neuen Sinn und vielleicht einen Weg aus der Verzweiflung. Eine kleine Geste, die einen großen Unterschied machen kann – auch und vor allem in der Weihnachtszeit.
Falls du nach weiterer Inspiration in diese Richtung suchst, kann ich dir die folgenden beiden Bücher von ganzem Herzen empfehlen . Sie sind mit vielen faszinierenden und erhebenden Geschichten gefüllt und geben ganz wundervolle Weihnachtsgeschenke ab :-).
Ich wünsche dir, dass die festliche Zeit dir eine Chance bietet, dich mit den Menschen um dich herum in Ruhe zu verbinden und Momente der Fürsorge und des Verständnisses zu teilen.
Frohe Weihnachten und ein glückliches und gesundes neues Jahr!
Cheerio,
Joerg
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