Im Rahmen meiner Ausbildung zum Psychotherapeuten habe ich kürzlich mit einer Klientin gearbeitet, die mit schweren Angstzuständen zu kämpfen hatte. Das Ganze stellte sich als eine echte Herausforderung dar, und es dauerte einige Sitzungen, bis sie begann, offen darüber zu sprechen, was sie bewegte. Es ging um eine äußerst schwierige Kollegenbeziehung auf Arbeit.
Nennen wie meine Patientin Alice (Name und Hintergrund habe ich hier aus Diskretionsgründen geändert). Alice leitete ein kleines Team von Beratern. Ihre Arbeit war von hohem Erfolgsdruck geprägt und sie bewegte sich täglich in einem Spannungsfeld zwischen Kundenerwartungen sowie denen ihres Teams. Die größte Tortur allerdings machte Alice mit einer Kollegin durch, der sie eigentlich bei der Arbeit unterstützen sollte.
Alice beschrieb diese Person als „aggressive Diktatorin“, die 10 Jahre älter war und „mit Klauen und Zähnen” um alles kämpfte. Dies machte es nach Alices Aussage unmöglich, eine kooperative Beziehung zu der Person aufzubauen. Sie fürchtete jede Begegnung mit der „Tyrannin“. Schon einige Tage vor dem jeweils nächsten Treffen spürte sie, wie sich ihr der Magen umdrehte und sie keine Nacht mehr ordentlich schlafen konnte.
Die Meetings mit der Kollegin waren sehr angespannt und die Gespräche mit ihr wurden immer schwieriger. Bis es zur Eskalation kam. Vor dem ganzen Team explodierte der schwelende Konflikt zwischen den beiden, als sie bei einem Video-Meeting begannen, sich gegenseitig massive und schwerwiegende Vorwürfe zu machen. Die „Diktatorin” erhob ihre Stimmen und versuchte, Alice vor den Augen ihrer Teammitglieder zu demontieren.
Alice empfand sich dabei als verlegen, unfähig, klein und dumm. Sie schrumpfte nach eigener Aussage in sich zusammen bis zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr damit umgehen konnte. Den Tränen nahe brach sie den Videoanruf ab. Vor allem für sie selbst war das Ganze ein kaum zu verarbeitendes Desaster.
Also nahmen wir uns der Sache in unserer nächsten Sitzung an und untersuchten, was passiert war. Alice fühlte sich immer noch entmutigt, hilflos und unsicher darüber, ob und wie sie nun weitermachen sollte.
Solche emotional aufgeladenen Situationen wie die von Alice können uns manchmal komplett überwältigen. Gefühle und Emotionen beginnen dann, Amok zu laufen. Gleichzeitig können unsere negativen Selbstbewertungen eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die zu Reaktionen (Verhaltensweisen) führen, welche wiederum unsere Gefühle und Emotionen weiter eskalieren lassen. Bis dann eine Zündstufe die andere befeuert und es keinen Ausweg mehr aus dem fatalen Kreislauf zu geben scheint.
Doch das muss nicht so sein.
Im sicheren Raum unserer therapeutischen Allianz habe ich mit Alice das von Aaron Beck als Teil der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) entwickelte Arbeitsblatt „Gedanken-Gefühle-Verhalten“ (GGV) genutzt. Ich fragte Alice, ob sie sich an Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen während der Kollision mit ihrer Kollegin erinnern könne. Schritt für Schritt konnten wir das so chaotisch scheinende Puzzle zusammensetzen.
Nachdem wir die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen herausgearbeitet und zu Papier gebracht hatten, begann Alice langsam den Kopf zu schütteln. Und plötzlich lächelte sie. Kopfschüttelnd sagte sie: „Ich bin in Gefahr? Nein, ich bin nicht in Gefahr! Ich bin total safe! Ich bin in meinem Homeoffice und mindestens 100 Kilometer von der Diktatorin entfernt.“
Dann fuhr sie mit ruhiger, aber entschlossener Stimme fort. „Niemand hat das Recht, mich zu bedrohen. Ich bin nicht in Gefahr. Ich fühle mich sicher!” Dies laut auszusprechen, begann, ihre Wahrnehmung langsam zu verändern.
Ich fragte Alice, ob sie sich an ähnlich brisante Situationen in ihrer Vergangenheit erinnern könne. Sie antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Genau so hat mich meine Mutter jeden Tag herumgeschubst, wenn ich meine Hausaufgaben machen musste!“
Es klang, als wäre Alice im Erwachsenenalter in ein altes kindliches Reaktionsmuster zurückgefallen.
Ich stellte ihr das Konzept der Transaktionsanalyse (TA) vor, ein einfaches, aber wirkungsvolles Werkzeug, das erklärt, wie wir Beziehungen erleben. TA wurde von Eric Berne entwickelt und beschreibt, wie wir dazu neigen, aus einem der folgenden drei Ego-Zustände heraus miteinander interagieren:
- Elternteil (kritisch/kontrollierend oder fürsorglich/strukturiert),
- Erwachsener (einfallsreich und im Hier & Jetzt)
- Kind (angepasst/destruktiv oder frei/kooperativ).
In Alices Konflikt wurde deutlich, dass es eine Interaktion zwischen dem kontrollierenden Elternteil („Diktatorin“) und einem angepassten Kind („Alice“) gab. Eine Schlüssellehre der Transaktionsanalyse ist, dass die vom ersten und dritten Muster geprägte Kommunikation (oder Interaktion) zwischen Elternteil und Kind unterbrochen werden kann, wenn eine der beiden Personen in den Ego-Zustand eines „Erwachsenen“ übergeht, gleichgesetzt mit Reife und Selbstverantwortung. Dieser durchkreuzt den traditionellen Kommunikationskanal, wie das folgende Bild sehr gut illustriert. In der Folge muss entweder der oder die andere seine bzw. ihre Rolle ändern – oder aber die Kommunikation ist (vorerst) unterbrochen.
Woran wir arbeiten mussten, war klar. Es ging darum, Alice zu ermutigen, in diesem fatalen Verhältnis in den Ego-Zustand des Erwachsenen zu wechseln. Wenn sie das umsetzen könnte, so das Ziel, wäre sie in der Lage den Kreislauf der negativen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu durchbrechen. Dann könnte sie in den Diskussionen mit ihrer “Widersacherin” emotional präsent und sachlich funktional bleiben sowie ihr Handeln auf der Grundlage von Fakten ausrichten.
Um ehrlich zu sein, klingt das alles sehr einfach und sieht auf den Grafiken überaus einleuchtend und logisch aus. In der therapeutischen Praxis aber ist das harte Arbeit. Insofern bin ich mit Alice zusammen einen langen Weg gegangen, der am Ende jedoch erfolgreich war.
Durch die weitere Nutzung des GGV-Arbeitsblatts erkannte Alice nicht nur allmählich ihre Muster, sondern verinnerlichte auch die Lösungsmodelle. Nach und nach fühlte sie sich bei den Begegnungen mit ihrer “Gegnerin” immer sicherer und schaltete damit immer mehr in den Zustand des Erwachsenen-Ichs.
Dabei begann sie Dinge zu sehen, die sie selbst und ihr Team nicht gut gemacht hatten, und die mit dafür verantwortlich waren, dass die “Diktatorin” so viel Raum einnehme konnte. Schritt für Schritt begann Alice mit der Fehlereliminierung und schaffte es vor allem in Meetings immer ruhiger und damit auch konstruktiver zu werden.
Wie durch ein Wunder beruhigte dies auch die problematische „Diktatorin“ und die Beziehung zwischen den beiden wurde nach einer gewissen Zeit “funktionsfähig”. Alice und ihre vorher so gefürchtete Widersacherin wurden natürlich nicht beste Freunde, aber sie konnten nun zusammenarbeiten.
Wir alle haben schwierige und aufgeladene zwischenmenschliche Begegnungen. Ein Schlüssel, um effektiver mit ihnen umzugehen, besteht darin, im erwachsenen Ich-Zustand zu bleiben. Dazu ist es hilfreich, den inneren Wirbelwind aus Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen zu entschärfen. Hier kommt das GGV-Arbeitsblatt ins Spiel. Es ist ein wunderbares Werkzeug.
Ich persönlich habe ein gedrucktes Exemplar auf meinem Schreibtisch und arbeite mit meinem Coach gewissenhaft an meinen eigenen Trigger-Punkten. Ich konnte sehen, wie es nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen meiner Klienten gewirkt hat, die dank dieses Werkzeuges die Kontrolle über das zurückgewonnen haben, was vorher nicht mehr zu kontrollieren schien.
Sie haben aktiv Abschied genommen haben von eingeschliffenen Verhaltens- und Reaktionsmustern, und konnten damit einen „Sicherheitsabstand“ zum internen Strudel aus aufgeladenen Gefühlen, selbstentwertenden Gedanken und destruktiven Verhaltensweisen herstellen.
Wenn Du selbst mit dem einen oder anderen „Diktator“ kämpfst, dann probiere doch das kostenfreie GGV Worksheet einfach einmal aus. Schicke mir einfach eine kurze E-Mail an diese Adresse.
Es würde mich wundern, wenn es nicht auch bei Dir funktioniert.
– Jörg
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