Es war der 24. November 2013. Ich arbeitete (noch) als Supply Chain Direktor für Procter & Gamble, war aber kurz davor, meine Coach-Zertifizierung bei der International Coaching Föderation (ICF) abzuschließen. Und ich war ziemlich verwirrt über meine Situation. Ich wusste, dass ich eine schwierige und lebensverändernde Entscheidung treffen musste.
Sollte ich mich, nachdem ich in meinem Berufsleben eigentlich immer festangestellt war, wirklich selbstständig machen? Das Coaching war meine Leidenschaft, darüber war ich mir im Klaren. Aber würde mir dieser Sprung in ein völlig anderes Leben gelingen oder sich als Träumerei entpuppen? Ich hatte tatsächlich Angst vor meiner eigenen Courage und wusste nicht, was ich tun sollte. Um etwas mehr Klarheit zu bekommen, begann ich damals ständig zwei verschiedene Listen zu erstellen. Auf der einen standen die Gründe, meinen Job zu kündigen, und auf der anderen jene, es nicht zu tun.
Das ging so lange erfolglos weiter, bis ich auf den folgenden Fragebogen vom Tim Ferris stieß. Ferris, ein US-amerikanischer Autor, Podcaster und Unternehmer, war deutlich jünger als ich und hatte es schon 2007 mit seinem Buch „Die 4-Stunden-Woche“ in die New York Times-Bestsellerliste geschafft. Nun sollte er mir also den Weg zur Lösung meiner Frage liefern.
Am Abend des 24. November setzte ich mich hin, begann Ferris` Fragebogen auszufüllen und meine Gedanken zu seinen fünf Schlüsselfragen aufs Papier zu bringen. Ich war skeptisch und hatte tatsächlich keine Ahnung, inwieweit das mein Leben verändern würde.
Die erste Frage lautete:
1. Warum möchte ich meinen Job aufgeben?
Allein, was ich dazu aufschrieb, hat mich einigermaßen erschüttert. Denn ich musste ehrlich zugeben, dass es in den vergangenen drei bis vier Monaten keinen einzigen Tag gegeben hatte, an dem ich mich darauf freute, auf Arbeit zu gehen. Über die Jahre waren die Erwartungen an mich und meine Ergebnisse immer weiter gestiegen, und dieser Dauerdruck hatte mich müde und leer gemacht. Ich hatte meine Leidenschaft, Energie und Motivation für meine Arbeit verloren. Ohne Mittagspause saß ich in aufeinanderfolgenden Meetings und fragte mich eigentlich ständig, was genau ich da machte. Statt zu leben und zu pulsieren, schleppte ich mich kraft- und saftlos durch die Tage. Eine ernüchternde, aber sehr klare Erkenntnis. Was mich direkt zu Frage zwei führte:
2. Was sind meine größten Albträume und Worst-Case-Szenarien, wenn es darum geht, meinen Job zu kündigen?
Die Beantwortung dieser Frage war einfacher, aber nicht weniger herausfordernd. Meine größte Sorge war, dass ich als Vollzeit-Coach nicht genug Geld verdienen könnte. Irgendwann könnte dieser Zustand meine Ersparnisse aufbrauchen. Meine – zugegeben leicht irrationale – Angst war es, bankrott, obdach- und hoffnungslos zu enden, ewig bedauernd, eine erfolgreiche Karriere aufgegeben zu haben. Ich hätte nicht wenigen Menschen und deren „Wir haben es dir gesagt!“ Recht geben müssen.
Aber nun kamen drei wichtige Folgefragen. Sie lauteten:
Welche dauerhaften Auswirkungen haben diese Szenarien auf einer Skala von 1-10 auf mein Leben?
- Diese Frage habe ich mit 2 bewertet, da ich in Wirklichkeit schon das Gefühl hatte, dass ich irgendwie in der Lage sein würde, meinen Lebensunterhalt zu verdienen und meinen Weg zurück in eine stabile Verdienstsituation zu finden.
Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Worst-Case-Szenarien eintreten?
- Nicht sehr wahrscheinlich.
Was kann ich tun, um die Schäden dieser Worst-Case-Szenarien zu minimieren und / oder zu reparieren?
- Dazu fielen mir sofort einige geeignete Maßnahmen ein: z.B. meine Ausgaben kürzen, in eine kleinere Wohnung ziehen, frühzeitig die Notbremse ziehen, mich dann wieder auf einen festen Job bewerben, Teilzeit arbeiten…
Darauf folgte Frage Nummer drei:
3. Was sind diemöglichenErgebnisse der weitaus wahrscheinlicheren Szenarien?
Auf der finanziellen Seite gab es das wahrscheinliche Szenario, dass ich zumindest einen Teil meiner Kosten über einen längeren Zeitraum kompensieren könnte. Addiert mit der Möglichkeit, die Fixkosten zu reduzieren, wurde mir klar, dass ich noch eine ganze Weile durchhalten würde. Und natürlich war da auch das optimale Szenario, in dem ich mit dem Coaching genug Geld verdienen oder sogar etwas sparen könnte.
Die Vorstellung, wie ich mich in diesen wahrscheinlichen Szenarien fühlen würde, war der entscheidende Durchbruch, den ich brauchte: Ich würde jeden Morgen aufwachen und mich auf das, was ich tue, freuen. Meine Arbeit würde einen Unterschied machen in der Welt. Ich würde nicht nur meine Bestimmung leben, sondern auch jeden Abend wissen, was genau ich erreicht und wem ich geholfen hätte. Eine unglaublich wichtige Erkenntniss!
Es folgten die folgenden 4 Teilfragen:
Welche positiven Auswirkungen würden diese wahrscheinlicheren Szenarien auf einer Skala von 1 bis 10 haben?
- Das konnte ich mit einer klaren 10+ beantworten.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ich ein zumindest mäßig positives Ergebnis erzielen könnte?
- Es ist auf jeden Fall möglich!
Haben weniger intelligente Leute das schon einmal gemacht, und es geschafft?
- Oh ja.
Wenn ich meinen Job aufgeben würde, könnte ich dann wieder in die gleiche Karriere einsteigen, wenn es wirklich nötig wäre?
- Natürlich.
Nun kam eine sehr, sehr wichtige Frage:
4. Was kostet es mich, Maßnahmen aufzuschieben, und wo werde ich in einem, in fünf und in 10 Jahren stehen, wenn ich meine wahren Ziele nicht verfolge?
Die Antwort auf diese Frage war ganz klar: Wenn ich mich von den angeblich widrigen Umständen und inneren Ängsten von meinem Weg abbringen lasse, werde ich eines, fünf oder zehn 10 Jahre meines Lebens damit verschwenden, etwas zu tun, von dem ich weiß, dass es mich nicht erfüllt!
Was mich zur alles entscheidenden und letzten Frage führte:
5. Worauf warte ich?
Um hier eine kurze und klare Antwort zu finden, musste ich gedanklich etwas weiter ausholen. Anfang 2014 zeichnete sich für meine Abteilung bei P&G eine mögliche Umstrukturierung ab. Deshalb wollte ich noch drei Monate warten, um zu sehen, ob es bei einem Ausscheiden die Chance auf eine Abfindung geben würde. Wenn nicht, würde ich kündigen.
Zum Glück hat sich das Universum zu meinen Gunsten entschieden. Die Umstrukturierung wurde beschlossen und meine Abteilung fusionierte mit einer anderen. Da mir durch den Fragebogen sehr klar geworden war, was ich eigentlich wollte, verließ ich P&G am 30. Juni 2014, um Vollzeit-Coach zu werden. Worauf wartete ich? Auf nichts mehr. Mir war der Absprung gelungen. Nun galt es, irgendwo ohne Beinbruch zu landen.
Meine Reise war seitdem manchmal hart, es gab viel zu lernen. Doch wenn ich zurückblicke, fühle ich mich erfüllt, dankbar und glücklich. Ich weiß, warum ich jeden Tag aufstehe … um das Leben von Menschen besser zu machen.
Als Coach und bei der Arbeit mit Kunden auf der ganzen Welt spüre ich, dass sich immer mehr Menschen die Frage stellen, ob es für sie nicht eine andere, bessere Arbeitswelt gibt. Auch sie erwägen den Sprung in etwas Neues und können sich noch nicht entscheiden.
Wenn Sie sich in dieser Situation wiederfinden, hoffe ich, dass dieser Fragebogen Sie vielleicht ein wenig inspirieren kann, Ihre eigene Lage realistisch zu betrachten und zu überlegen, was Sie als Nächstes tun möchten.
Und wenn Sie einen Coach suchen, mit dem Sie sich gerne einmal darüber austauschen würden, dann wissen Sie jetzt bestimmt, wo Sie einen finden können… ????!
-Joerg
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