„Der Test, den Sie heute hier absolvieren, soll uns dabei helfen, die Personen unter ihnen zu identifizieren, deren logische Fähigkeiten zur Problemlösung außergewöhnlich schwach ausgeprägt sind.“
Mit diesem einzigartigen Intro stellte sich die Psychologin Aïna Chalabaeva von der französischen Universität Grenoble 2008 ihren Probanden eines Experiments vor, mit dessen Hilfe das Thema „Lampenfieber“ untersucht werden sollte. Für die Teilnehmer der einen Gruppe ging es darum, diese ohne deren Wissen auf negative Weise maximal unter Druck zu setzen.
In den Worten von Aïna Chalabaeva hörte sich das für die Probanden so an: „Ihre Leistung bei diesem Test wird nicht wie bei den meisten anderen Tests bewertet, sondern Sie werden entweder über oder unter einem vorgegebenen Grenzwert eingestuft. Wenn Sie unter diesem Grenzwert abschneiden, deutet dies darauf hin, dass Sie außergewöhnlich schwach im logischen Denken sind, was nichts anderes heißt, als dass Ihre Denkfähigkeiten zur Problemlösung weit unter dem des Durchschnitts liegen. Dieser Test ist daher nur dazu gedacht, die besonders Schwachen unter Ihnen zu identifizieren.“
Dasselbe Thema wurde einer zweiten Gruppe mit ganz anderen Worten vorgestellt. Dort diente der Text, so Chalabaeva, dazu, mithilfe eines gesetzten Grenzwertes die besonders „Starken“ statt die „Schwachen“ herauszufiltern. In Gruppe 1 sollte durch die Einleitung einfach Angst ausgelöst werden. Als „besonders schwach“ eingestuft zu werden, so die Annahme, würde selbst den Selbstbewusstesten nervös machen.
Für Gruppe 2 stellte sich dasselbe Experiment statt als Bedrohung als Herausforderung dar. Denn hier konnten sich die Probanden als „besonders starke Problemlöser“ profilieren. Der Test hatte für die Teilnehmer unter diesen Vorzeichen keinerlei „Absturzrisiko“, denn wer nicht über den Grenzwert kam, konnte sich immer noch als ganz „normaler durchschnittlicher Problemlöser“ betrachten. Wissenschaftlich gesehen sollte Gruppe 1 also „problemvermeidend“ und Gruppe 2 „zielorientiert“ konditioniert werden.
Wie ist das Experiment ausgegangen? Wie reagierten die Probanden körperlich? Um es vorwegzunehmen: Die Studienergebnisse* waren verblüffend!
* results source: Chalabaev, A., Major, B., Cury, F., & Sarrazin, P. (2009). Physiological markers of challenge and threat mediate the effects of performance-based goals on performance. Journal of Experimental Social Psychology, 45(4), 991–994.
Gruppe 2 (Herausforderung) performte mit 40% besser als Gruppe 1 (Bedrohung) und pumpte während des Tests wesentlich mehr Blut durch die Adern. Gleichzeitig waren die Blutgefäße von Gruppe 2 weitaus offener und „gelöster“.
Die Wahrnehmung, eine Situation als Bedrohung statt als Herausforderung zu sehen, führt demnach dazu, dass wir bei der Aufgabe erstens schlechter abschneiden, während wir zweitens einem Gesundheitsrisiko durch zum Beispiel höheren Blutdruck oder reduzierte Sauerstoffversorgung ausgesetzt sind. Dabei handelt es sich bei Weitem um kein Zufallsergebnis, denn zahlreiche andere Studien haben diese Resultate bestätigt.
Wenn der – wohlgemerkt rein psychologisch wahrgenommene – Unterschied in derselben Situation derart eklatante Unterschiede in Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden erzeugt, stellt sich uns natürlich eine entscheidende Frage: Wie lässt sich die Wahrnehmung einer „Bedrohung“ durch die einer „Herausforderung“ ersetzen?
Der Sportpsychologe, Buchautor und Gastprofessor an der britischen Manchester Metropolitan University, Dr. Martin Turner, hat diesbezüglich ein ganz einfaches „ABC“-Modell entworfen. Der von ihm entwickelte Ansatz fundiert auf der „Rational Emotive Behavioral Therapy“ (REBT) und hat in der Anwendung bei Leistungssportlern schon wahre Wunder bewirkt.
Das ABC-Konzept geht davon aus, dass (A) aktivierende Ereignisse allein keine ungesunden, emotionalen und verhaltensbezogenen Konsequenzen haben (C), sondern dass unsere irrationalen Überzeugungen (B) von den angeblichen Widrigkeiten einer Situation oft die eigentliche Ursache dafür sind. Indem diese Überzeugungen (englisch: beliefs) in Frage gestellt werden, kann das eigene Verhalten neu „programmiert“ werden. Für die grundlegende Analyse identifiziert Dr. Martin Turner in seinem Modell vier Kategorien fehlerhafter Grundüberzeugungen:
- Starre Fixierungen: „Ich muss in dieser Situation Erfolg haben“ oder „Ich muss fair behandelt werden“.
- Erstarren vor dem Schrecken: „Scheitern ist einfach nur schrecklich und beängstigend“ oder „Respektlos behandelt zu werden, ist einfach nur schrecklich und beängstigend.“
- Geringe Frustrationstoleranz: „Ich kann es nicht ertragen, respektlos behandelt zu werden“ oder „Ich kann Ungerechtigkeit nicht tolerieren.“
- Runterziehen: „Hier zu versagen, macht mich zu einem kompletten Versager.“ … „Wenn ich versage, zeigt das, was für ein Idiot ich bin.“
Sobald wir allerdings unsere fehlerhaften Überzeugungen identifiziert haben, können wir uns laut Dr. Turner damit auseinandersetzen, uns ihnen stellen und sie letztlich ändern. So kann das funktionieren:
- Flexibel denken: „Ich möchte in dieser wichtigen Situation erfolgreich sein.“
- Sich dem Schrecken stellen: „Unfair behandelt zu werden, ist schlimm, aber nicht schrecklich bzw. beängstigend.“
- Frustrationstoleranz erhöhen: „Nur weil ich Unfairness nicht mag, heißt das nicht, dass ich immer fair behandelt werden muss.“
- Heraus-Zoomen „Hier zu scheitern, macht mich weder zu einem Versager noch zu einem Idioten.“
Als ich von diesem ABC-Konzept erfuhr, wurde mir schlagartig klar, dass auch ich mit den von Turner genannten Phänomen Bekanntschaft gemacht hatte. Und zwar, als ich auf dem Jakobsweg vor nunmehr ziemlich genau zehn Jahren eine Art Nervenzusammenbruch erlebte. Wie ich in einem der Newsletter schon einmal beschrieben habe, kämpfte ich auf der Hälfte des 800 Kilometer langen Pilgerweges mit extremen Blasen, kaputten Schuhen und einem Gefühl des totalen Verlassen-Seins. Ich war damals kurz davor, aufzugeben und diese so wichtige „Reise“ auf halbem Wege abzubrechen.
Wie mir erst viel später auffiel, kämpfte ich am stärksten mit meinem Glauben (belief), „unbedingt erfolgreich sein zu müssen“ und „dass ein Scheitern schrecklich wäre“, denn es würde mich zu einem „vollständigen Versager“ machen. Der mentale Druck wurde so schlimm, dass ich buchstäblich auseinanderbrach. Mit dem absoluten Scheitern vor Augen wurde mir damals allerdings schlagartig klar: „Ich muss niemandem etwas beweisen“ und „das Abenteuer ist jetzt schon ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass ich bereits 400 Kilometer gelaufen bin.“ Erstaunlicherweise änderte sich meine Einstellung ab diesem Tag komplett. Ich sagte mir nun: „Es spielt keine Rolle, ob ich die ganzen 800 Kilometer nach Santiago de Compostela schaffe. Ich gehe einfach so weit, wie ich gehen kann.“
Und plötzlich, nachdem das Gewicht von meinen Schultern genommen und mein Glaube wiederhergestellt war, verwandelten sich die scheinbaren Bedrohungen in einfache Herausforderungen. Damit konnte ich nicht nur die verbleibenden 400 km erfolgreich absolvieren, sondern hatte gleichzeitig richtig Spaß und Freude daran, jeden Tag ein kleines Stück weiter voranzukommen. Ohne Druck, Bedrohung oder Angst!
Deshalb ist meine Herausforderung für euch heute, dass ihr euch selbst überprüft, inwieweit ihr euch, wenn mit einer Schwierigkeit konfrontiert, bedroht oder herausgefordert fühlt. Überprüft, welche der von Dr. Martin Turner genannten Schreckens- oder Frustrationsaussagen auf euch zutreffen und wie sich diese nach dessen System in positive „Ambitionen“ umwandeln lassen.
Und vergesst nicht: Wann immer Ihr das Gefühl habt, bedroht zu werden, nehmt es ernst, aber stellt eure Grundüberzeugungen dazu in Frage, um sie in eurem Sinne ändern zu können. Ihr werdet dann nicht nur bessere Leistungen erbringen, sondern auch gesünder… und glücklicher sein!
Buen Camino!
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