Im Herbst 2007 arbeitete ich als Supply Chain Direktor bei Procter & Gamble (P&G) und bewarb ich mich intern um eine Stelle, die interessant und furchteinflößend zugleich klang. Die Aufgabe bestand darin, die Integration des Wella-Geschäfts in Asien zu leiten. Das hieß, alle 1.500 Wella-Mitarbeiter mit neuen P&G-Arbeitsverträgen auszustatten, Wella in die Abläufe des neuen Eigentümers zu integrieren und das Computer-System von Wella auf die SAP-Plattform von P&G zu bringen.
Der Job war zu diesem Zeitpunkt eigentlich viel zu groß für mich. Aber wie das Leben manchmal so spielt, am Ende bekam ich ihn. Im Nachhinein muss ich sagen, es war hart, oder wie der Engländer sagen würde: richtig tough. Glücklicherweise arbeitete ich mit einem erfahrenen und äußerst motivierten Team von sehr kompetenten Kollegen zusammen. Und das bedeutete am Ende, dass wir das Projekt pünktlich und innerhalb des vorgegebenen Budgets umsetzen konnten.
Jetzt, mehr als 15 Jahre später, arbeite ich mit einem Kunden an einem ähnlichen Projekt. Der Umsatz des Unternehmens ist mit dem von Wella in Asien damals vergleichbar. Der Umfang der Aufgabe allerdings wesentlich kleiner und weniger komplex. Was mir beim Vergleich der beiden Projekte auffällt, ist aber etwas anderes.
Bei P&G verwendeten wir die sogenannte „Wasserfall-Methodik“, einen sequenziellen Projektmanagement-Ansatz, bei dem Aufgaben wie ein Wasserfall ablaufen. Erst nach dem Abschluss einer Phase beginnt die nächste. Die Dinge müssen deshalb sehr gründlich durchdacht werden. Das bedeutet, dass die Planung jeder Phase genau gemacht werden muss und deshalb sehr zeitaufwändig ist. Die Fertigstellung des P&G-Projekts dauerte fast drei Jahre und umfasste in seiner “heißen” Phase eine große Projektorganisation mit mehr als 100 Vollzeitmitarbeitern.
Bei meinem jetzigen Kunden arbeiten wir mit einem anderen Ansatz. Er heißt AGILE und wurde Ende der 1990er Jahre als alternativer Ansatz zur Entwicklung von Software entwickelt. Das Ziel von AGILE besteht darin, Benutzern in sehr kurzer Zeit den Zugang zu einer funktionierenden Software zu ermöglichen. Somit wird es möglich, dass jeder die Lösungen frühzeitig testen kann, schnell ein Gefühl für die Funktionsweise der Software bekommt und Fehler in rasanter Geschwindigkeit erkannt und behoben werden können.
Wenn ich den Ansatz in meinen Worten stark vereinfache, dann geht es im Kern um „Fortschritt anstelle von Perfektion“. Um dazu die nötige Vorwärts-Dynamik im Projekt zu erzielen, arbeiten Teams in sogenannten Scrums zusammen. Der Begriff stammt aus dem Rugby. „Scrum“ bedeutet auf Deutsch: „Gedränge“ und auf AGILE übersetzt heißt das: Kleine Teams sollen mit Entschlossenheit, strategisch klug und geschickt in die gleiche Richtung „drängen“.
Das Herzstück des AGILE-Ansatzes sind dabei die sogenannten SPRINTS, Zeiträume von normalerweise zwei Wochen. Zu Beginn jedes SPRINTS bespricht und erstellt das Team eine überschaubare Aufgabenliste für alle Teammitglieder. Dann zählt in diesen zwei Wochen nichts anderes. Jeder konzentriert sich auf die eher überschaubare Liste und erledigt die Dinge. Fortschritte und Probleme werden in täglichen, knackigen 15-minütigen Team-Meetings besprochen. Aufgrund ihrer Kürze sind diese Treffen nicht zum Brainstorming, Problem-Dumping oder Plaudern gedacht. Der Zweck besteht darin, sich durch agile Weise auf „Fortschritt versus Perfektion“ zu konzentrieren.
Wichtig ist es hier anzumerken, dass SPRINT nicht bedeutet, so schnell wie möglich zu rennen. Es bedeutet vielmehr, in einem sehr flotten und gleichmäßigen Schritttempo voranzukommen, ein Tempo, das jeder Teilnehmer unbegrenzt durchhalten kann. Keine Gefahr von Burnout oder „toten Helden“!
Die Fortschritte, die das Unternehmen meines Kunden mit AGILE gemacht hat, sind bemerkenswert und unser ehrgeiziges Ziel ist es, die Umstellung auf die neue Software von Anfang bis Ende in lediglich fünf Monaten zu schaffen, ein wesentlich geringerer Zeitaufwand als die oben genannten drei Jahren für die Integration von Wella in P&G.
Ich persönlich lerne dank unseres hochkompetenten Projektmanagers (Danke, Thomas ☺), jeden Tag mehr über die Grundlagen von AGILE und ich sehe dabei immer häufiger die vielen Anwednungsmöglichkeiten dieser Vorgehensweise für unser tägliches Leben. Ich denke, AGILE funktioniert nicht nur für die Softwareentwicklung, sondern auch für die moderne Lebensplanung, haben wir doch fast keine große Wahl mehr, als von der „Wasserfall-Methode“ auf „SPRINTS“ umzustellen. Der „Wasserfall“ kann einfach nicht mehr mit den schnellen und turbulenten Veränderungen der heutigen Zeit mithalten. Bei der Planung und Umsetzung unseres Lebens können SPRINTS daher sehr hilfreich sein.
Wie wäre es also, wenn wir unsere mittel- und längerfristigen Ziele in SPRINTS aufteilen? Wenn wir nur eine begrenzte und überschaubare Anzahl von Zielen für die nächsten zwei Wochen definieren. Aufgaben, die wir in „zügigem Schritttempo“ erledigen können, ohne dabei auszubrennen?
Wir machen nichts anderes, als dass wir uns auf diese begrenzte Anzahl von Aufgaben konzentrieren. Wir ignorieren Dinge, die später erledigt werden müssen. Ja, das kann etwas unkomfortabel sein, da man denkt, man vergisst etwas, was man eigentlich tun sollte. Aber am Ende der zwei Wochen schaut man sich an, was erledigt ist und was in den nächsten Sprint einfließen soll. Fokus auf Fortschritt versus Perfektion. Wir könnten sogar darüber nachdenken, ein kleines „Scrum-Team“ hinzuzuziehen, d. h. ein oder zwei Verantwortungspartner oder Freunde, die uns helfen, auf Kurs zu bleiben.
Meine heutige Herausforderung an dich ist deshalb sehr einfach. Wenn du magst, schau dir noch kurz diesen kleinen Artikel an, in dem die Anwendung von AGILE im täglichen Leben noch etwas detaillierter beschrieben wird, und beginne danach, deinen ersten SPRINT zu planen.
Liste die Dinge auf, die in den kommenden zwei Wochen unbedingt erledigt werden müssen. Begrenze deren Anzahl. Mache die Liste überschaubar und dann beginne die Punkte mit Entschlossenheit und Konzentration abzuarbeiten. Schalte alles andere aus und fokussiere dich auf nichts anderes. Schau dir nach zwei Wochen an, was erledigt ist, und was in die nächste Phase übernommen werden muss, zusammen mit Gedanken, was in diesem SPRINT gut funktioniert hat und was angepasst werden muss.
Durch die Anwendung von AGILE werden mittlerweile Milliarden von Dollar und etliche Jahre bei der Projektabwicklung auf der ganzen Welt eingespart. Es funktioniert. Lass dir doch vielleicht auch selbst durch AGILE ein bisschen dabei helfen, deine persönlichen Ziele schneller, stressfreier und mit besserer Qualität zu erreichen.
Auf geht’s und viel Spaß beim Sprinten!
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