Als ich Supply-Chain-Direktor bei Procter & Gamble war, führten wir jedes Jahr eine Verlustanalyse durch. Dazu wählten wir ein bestimmtes Hautpflegeprodukt und nutzten ein Tool namens „Value Stream Mapping“, um die gesamte Lieferkette für jede einzelne Komponente und jeden Inhaltsstoff auf einer großen Wandtafel abzubilden.
Die erfasste Lieferkette umfasste meist mehr als zwölf zurückliegende Monate, inklusive der Vorfertigung von Rohstoffen. Wir sahen uns dann gemeinsam jene einzelnen Abschnitte an, die tatsächlich Wert generieren konnten. Dies geschah vor allem, wenn wir die Zutaten mischten, den Tiegel füllten, ein Etikett anbrachten und den Tiegel mit einem Deckel verschlossen.
Du kannst dir vorstellen, dass die tatsächliche Wertschöpfungszeit nur wenige Minuten betrug, wohingegen Wochen und Monate durch Wartezeit, Transport und andere nicht wertschöpfende Transaktionen verlorengingen.
Die Messdaten erlaubten uns einen (fast) perfekten Zustand zu entwerfen, bei dem die Lieferkette radikal verkürzt und vereinfacht wurde. Obwohl wir uns der Perfektion natürlich nur annähern konnten, stellten wir in der Regel erhebliche Verluste fest und versuchten diese in Nachbesserungen zu vermeiden. Wir sparten Zeit, Geld und verbesserten den Kundenservice. Ich muss zugeben, dass ich diese sogenannte Wertstromanalyse als Konzept hochinteressant finde und mittlerweile auch der Meinung bin, dass sie sich wunderbar auf unser Berufs- und Privatleben anwenden lässt.
Hier ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich im Rahmen eines Coaching-Programms eine Karriereplanung im Rahmen einer sinnbildlichen Wertstromanalyse verändert hat. Hugo war Ende 30 und Betriebsleiter in einem mittelständischen Unternehmen. Wir hatten mehrere Monate zusammengearbeitet und waren in unserem Coaching gut vorangekommen, als sein Vorgesetzter uns während der Zwischenbesprechung bat, zu klären, ob Hugo seine Karriere als Generalist oder Spezialist weiterentwickeln sollte. Als Hugo diese Frage untersuchte, erwähnte er, dass es für ihn absolut entscheidend sei, ein hohes Maß an Leidenschaft für seine Arbeit beizubehalten, was auch immer er in Zukunft tun würde.
Ich bat ihn um eine Hausaufgabe. Nämlich zu beschreiben, wie eine perfekte Arbeitswoche für ihn aussehen könnte. In unsere nächste Sitzung kam er dann mit einer noch besseren Idee zurück. Am Wochenende hatte er mit seiner Frau gesprochen, die ihn mit etwas Bedeutsamen aus seinem früheren Arbeitsleben in Verbindung brachte: „Erinnerst du dich an deine Zeit in der Unternehmensberatung?“, fragte sie ihn. „Du bist nach Deutschland gereist und hast kreative Lösung vorgestellt, wie dieser Automobilhersteller sein Müllaufkommen reduzieren könnte? Ich erinnere mich noch daran, dass, als du morgens aus der Tür gingst, deine Augen glänzten. Und als du an diesem Abend zurückkamst, glänzten die Augen noch immer. Ich hatte das Gefühl, dass dies eine Zeit war, in der du auf dem Höhepunkt warst. Völlig verbunden mit deiner Tätigkeit.“ WOW!
Hugo erinnerte sich natürlich an diesen Kunden, denn in dieser Zeit war er nachts aufgewacht, hatte einen revolutionären Ansatz niedergeschrieben, ihn am nächsten Tag vorgestellt und dann die erfolgreiche Umsetzung überwacht.
Wir hatten nun eine Idee, wie wir für Hugo die perfekte berufliche Weiterentwicklung finden konnten. Was auch immer es war, es musste „glänzende Augen“ erzeugen. Nachdem wir dies festgestellt hatten, konnten wir praktisch jede zukünftige Karrierechance testen und bewerten, wie sie auf Hugos „Shiny Eyes Index“ abschneiden würde. Als ich ihn aufforderte, genauer zu definieren, was ihm glänzende Augen verleihen könnte, beschrieb er das wie folgt: „Ich möchte revolutionäre neue Ideen entwickeln und sie in die Tat umsetzen!“
Um „besonderen Glanz“ in seine aktuelle Arbeit zu bekommen, mussten wir Wege finden, Hugo aus dem Tagesgeschäft herauszuholen, um ihm Raum und Zeit zu geben, „über den Tellerrand hinauszudenken“ und neue Ideen zu entwickeln.
Deshalb arbeiten wir derzeit an einem Organisationsentwicklungsprogramm, um Hugos Mitarbeiter Schritt für Schritt in Richtung eines selbstorganisierten Teams zu transformieren. Dadurch erhält er mehr freie Kapazitäten, um neue Ideen zu generieren. Das wird ihm nicht nur strahlendere Augen verleihen, sondern auch seinen Chef glücklich machen, da Hugo innovative Projekte vorantreiben kann, die dem Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringen.
Ähnlich wie bei der Wertstromanalyse haben wir in Hugos Fall identifiziert, was für ihn tatsächlich „Wert schafft“, was ihm glänzende Augen verleiht. Indem er mehr davon tut, reduziert er auch die „Verluste“ in seiner täglichen Arbeit und erweitert und nutzt gleichzeitig seine Talente besser.
Wenn wir uns in diesem Zusammenhang mit dem japanischen Konzept Ikigai befassen, welches mit „ein Grund des Seins“ übersetzt werden kann, dann haben wir den Sweet Spot für Hugo gefunden. Er macht (1) mehr von dem, was er gerne tut, (2) was er sehr gut kann, ( 3) was die Welt braucht und (4) wofür er bezahlt werden kann.
Meine heutige Herausforderung an Dich ist einfach. Ich möchte, dass Du das Konzept der Wertstromanalyse einmal für Dich anwendest und deinen ganz persönlichen „Shiny Eyes Index“ ermittelst. Ähnlich wie bei der Übung mit dem Hautpflegetiegel und dem Beispiel von Hugo möchte ich Dich anregen, dass Du dir einmal anschaust, welche Aktivitäten für Dich wirklich einen Mehrwert generieren.
Du kannst dafür deinen Beruf oder einen anderen elementaren Bereich in Deinem Leben auswählen, z.B. Gesundheit, Beziehungen, Hobbys, Zeit für Dich selbst oder etwas ganz anderes, wo Du vielleicht Verbesserungsbedarf siehst.
Welche Faktoren tragen in diesen Bereichen dazu bei, dass sie für Dich wirklich einen Mehrwert schaffen? Was sorgt für strahlende Augen? Schreib es auf und fange auch an, Dinge zu eliminieren, welche nicht so viel Wert oder glänzende Augen erzeugen. Dadurch schaffst Du deutlich mehr Erfüllung, Spaß, Gesundheit und Freude in deinem Leben. Weil Du Dich auf das konzentrierst, was Dir wirklich wichtig ist.
– Euer Jörg
Stefan Weiwadel says
Nice story, which contains a lot of truth.
Made me think, Joerg.
Will use for my staff as well in the near future.
Best,
Stefan
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Joerg Kuehn says
Thanks a lot Stefan and I hope all is well on your end!
Be in touch!
Joerg