Vor einiger Zeit bin ich auf einen Song des deutschen Liedermachers Gerhard Schöne gestoßen. Der Text hat die Form einer Parabel. In deren Mittelpunkt steht ein Mann, der sich nach seinem Tod vor den Pforten des Himmels wiederfindet.
Er hatte ein gutes und bescheidenes Leben geführt, und freute sich nun auf den Einlass in ein Jenseits voller Licht und Liebe. Trotzdem zögert er. „Was stört dich, mein Freund?“, fragt ihn daraufhin der freundliche Pförtner? „Irgendetwas scheint dir Sorgen zu bereiten. Gibt es irgendwelche Dinge auf Erden, die du nicht erledigen konntest?“
„Eigentlich nicht“, erwidert der Mann. „Da unten ist alles bestens sortiert. Aber jetzt, wo ich vor dieser Pforte stehe, frage ich mich, wie es eigentlich in der Hölle aussieht?“
Der Torhüter lächelt und sagt: „Du wirst überrascht sein, denn wie bei allen großen Wahrheiten ist es nicht so einfach, wie du denkst, und doch weitaus simpler als es scheint. Lass es mich dir zeigen.“
Sekunden später stehen die beiden vor dem Höllenschlund, der zur Überraschung des Verstorbenen exakt so aussieht wie das Himmelstor.
Plötzlich kann er köstliche Speisen riechen und hört das Klappern von Besteck. Als sich die Türen öffnen, offenbart sich ihm eine Szenerie von großartiger Schönheit. Vor ihm befindet sich ein riesiger Bankettsaal, der so breit und lang ist, dass er keine Wände erblicken kann.
Goldene Kronleuchter hängen über den gigantischen Tischen und werfen ein warmes Licht auf die Gäste, deren Zahl sich nicht ermessen lässt. Aus allen Richtungen erklingt Musik und der Geruch der Speisen ist so köstlich, dass der staunende Besucher sie fast auf seiner Zunge schmecken kann.
„Das soll die Hölle sein?“, dreht er sich fragend zu seinem Begleiter um. „Ja“, antwortet dieser. „Aber es ist nicht so, wie es scheint. Schau genauer hin!” Der Mann inspiziert die Tische nun etwas intensiver und bemerkt tatsächlich etwas zutiefst Beunruhigendes.
Die Tischgäste halten kein Besteck in ihren Händen. Dort, wo normalerweise Hände sein sollten, ragen Löffel aus ihren Armen. Diese sind so lang, dass es ihnen unmöglich ist, das köstliche Essen in den eigenen Mund zu bekommen. Mit Entsetzen beginnt der Mann zu begreifen, dass die Menschen am Verhungern sind, während sie qualvoll versuchen, wenigstens ein paar kleine Stücken dieser wunderbaren Speisen in ihren Mund zu bekommen.
Stunde für Stunde hungriger, schuften sie dennoch hilflos weiter. Er hört sie schluchzen und weinen und erlebt ihre Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit fast körperlich. Letztlich ruft er vor Entsetzen: „Was für eine Qual, ich habe genug gesehen. Bitte bring mich weg von hier.“
Im Handumdrehen sind die beiden zurück an den Toren des Himmels. „Okay“, sagt der Mann, „ich bin jetzt bereit, wir können hineingehen.“ Als der Torwächter ihn endlich in den Himmel führt, offenbart sich ihm exakt dieselbe Szenerie wie eben in der Hölle. Der riesige Bankettsaal, die Musik, das Essen und … das Schlimmste … auch hier haben die Menschen Löffel statt Hände. Schaudernd sieht der Mann an sich herunter: Seine Unterarme haben sich ebenfalls in grotesk lange Löffel verwandelt.
Schon will er wehklagen, da spürt er die beruhigende Hand seines Begleiters auf der Schulter. „Beruhige dich und schau genauer hin…“, hört er ihn flüstern. Tatsächlich, als er aufblickt, bemerkt er, dass die Stimmung der Gäste völlig anders ist, als in der Hölle. Hier herrscht eine Atmosphäre der Liebe und Ausgelassenheit, des Teilens, der Kameradschaft und der Freude, die den gesamten Saal durchdringt.
Der Unterschied zur Hölle? Im Himmel fütterten sich die Gäste gegenseitig. Niemand musste hungern. Jeder gab und jeder nahm.
Viele von uns haben in letzter Zeit die verstörenden Bilder des Krieges in der Ukraine gesehen. Zum Zeitpunkt dieses Schreibens haben bereits mehr als drei Millionen Menschen ihr Land auf der Suche nach Sicherheit und Schutz verlassen. Während dieser Krieg die Hässlichkeit der Menschheit zum Vorschein bringt, zeigt er auch die unglaubliche Fürsorge und Unterstützung von Hunderttausenden von Freiwilligen, die sich zusammengeschlossen haben, um diesen hilfebedürftigen Flüchtlingen zur Seite zu stehen.
Ich bin ehrlich gesagt vor allem vom polnischen Volk sehr beeindruckt, welches bereits mehr als zwei Millionen Ukrainer aufgenommen hat, ihnen Lebensmittel und Unterkunft bietet. Auch alle anderen europäischen Länder haben ihre humanitäre Hilfe verstärkt. Ich persönlich fühle mich sehr berührt von dieser Welle der Unterstützung, bei der gewöhnliche Menschen ihre Hände ausstrecken, um anderen in großer Not das Notwendigste zu geben.
Ich möchte auf diese Art, den Tausenden von Helfern, die in diesen schwierigen Zeiten etwas bewirken, ein herzliches Dankeschön zu sagen. Wie der Dichter John Donne schrieb… “Niemand ist eine Insel.” Wie wahr!
Wenn wir zu Inseln für uns selbst werden und die Not der Verzweifelten und Besitzlosen ignorieren, versperren wir die Tore zum Himmel. Aber wenn wir zusammenkommen, um uns gegenseitig zu unterstützen, schaffen wir hier auf Erden ein bisschen Himmel, auch wenn die Situation noch so trostlos zu sein scheint.
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