Um die Ecke wohnen die größten Helden
Die Welt unserer multimedialen Wirklichkeit ist von Stars, Sternchen und oftmals zweifelhafter Prominenz bewohnt. Zu selben Zeit gibt es jedoch eine enorme Anzahl ganz einfacher und un-besungener Helden, die wunderbare und bemerkenswerte Leistungen erbringen. Dabei stehen sie weder im Scheinwerferlicht noch erhalten sie irgendeine Art von Anerkennung für ihre ganz persönlichen Heldenreisen.
Ich möchte das ändern, weil ich glaube, dass das Teilen inspirierender Geschichten ganz gewöhnlicher Menschen uns nicht nur helfen kann selbst ein wenig Hoffnung und Motivation zu finden, sondern es den „unbesungenen Helden“ ebenso eine kleine Bühne gibt auf der sie ihr ganz persönliches Publikum und damit auch eine angemessene Form von Würdigung finden können.
Wenn Sie also jemanden in Ihrem Netzwerk kennen, der auf inspirierende Weise einen Beitrag leistet, jemanden, der nie aufhört, gute Taten zu vollbringen, oder jemanden, der von einer erstaunlichen Reise oder Transformation berichten kann, wenden Sie sich bitte an mich. Mit Ihrer Hilfe werde ich den oder die „HeldIn“ interviewen und eine kleine, inspirierende Geschichte daraus machen, in dem die großen Taten Ihres „gewöhnlichen Helden von nebenan“ thematisiert und in eine unterhaltsame Form gebracht werden.
Mein folgender Beitrag soll diesbezüglich einen Anfang machen und als Beispiel für weitere Geschichten dieser Art dienen. Genießen Sie also die Geschichte von Mumbai-Night-Runner, Christine und fühlen Sie sich von ihr bewegt, jemanden in Ihrer Nähe zu finden, der eine ähnliche Anerkennung verdient.
Der Sinn des Lebens in nur zwei Worten!
Die Geschichte von Mumbai‘s „Nachtläufer“ Christine
(Der folgende Beitrag wurde von mir erstmals im Mai 2017 veröffentlicht und im Juli 2020 aktualisiert. Mit weiteren Ergänzungen ist zu rechnen, denn Christine läuft und läuft und läuft …!)
… es ist 05:30 Uhr am Morgen, als Christines Wecker Alarm schlägt. Sie steht auf und macht sich schon eine halbe Stunde später auf die Socken, um ihren morgendlichen Lauf zu absolvieren. Bevor der Lockdown auch Indiens Alltagsleben lahm legt, trainiert Christine in der Multimillionen-Metropole Mumbai täglich mit ihren Trainern, Girish Bindra (Asics Running Club), Daniel Vaz (Nike Running Club) und Deepak Oberoi (Bombay Running). Nur am Sonntag genießt sie es, mit ihren Lauffreunden lange Runs zu verschiedenen Zielen zu absolvieren, um sich dann mit ihnen zu einem großen, gemeinsamen Frühstück zusammenzufinden.
Bis vor ihrem 45. Lebensjahr spielt das Laufen für Christine eigentlich keine Rolle. 2008 nimmt sie für ihre Firma an einem Wohltätigkeitslauf teil und wird danach von ihrem Chef dazu inspiriert mit dem Training für einen echten Marathon zu beginnen. Sie fängt beim örtlichen Reebok Running Club an und obwohl sie bis dahin keinen Lauf über eine größere Distanz absolviert hat, wird sie danach zu einer passionierten Marathonläuferin. Schon im Januar 2009 absolviert sie ihren ersten Halbmarathon über eine Strecke von 21,1 Kilometern, über den sie mittlerweile eine persönliche Bestzeit von 2 Stunden und 19 Minuten hält.
Bis 2012 rennt Christine, ohne große Hindernisse, doch dann stoppt eine private Katastrophe ihren Lauf. „Ich ging mit meiner Schwägerin einkaufen, als wir in diesen tragischen Unfall gerieten. Unsere Rikscha wurde von einem LKW erfasst und vollständig demoliert“, schildert sie mir persönlich dieses Ereignis. Danach stockt sie kurz, blickt in scheinbar in weite Ferne und fährt mit belegter und leiser Stimme fort: „Charlotte hat es am Ende nicht geschafft“. Es dauert eine ganze Weile, bis sie wieder in unser Gespräch zurückkehrt: „Ich hatte eine Gehirnblutung, eine Kniescheibenfraktur, vier gebrochene Rippen, eine Lungenpunktion, ein Schulterhämatom und einen gebrochenen Finger. Die Verletzungen und der Tod meiner geliebten Schwägerin hatten mich schwer erschüttert. Dazu kam, dass, obwohl mich die Ärzte auf der Intensivstation versuchten aufzubauen zweifelhaft war, ob ich jemals wieder laufen könnte.“
Der Unfall hat das Leben von Christine auf den Kopf gestellt und sie dennoch auf den Beinen gehalten. Denn schon einige Wochen nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatte, begann sie langsam damit auch in ihren geliebten Laufschuhen wieder einen Schritt vor den anderen zu setzen. Mit einem starken Willen und mit der Unterstützung eines großartigen Ärzte-Teams sowie von Freunden und Kollegen kämpfte sich Christine letztlich erfolgreich zurück auf die Strecke. Schon 2014 absolvierte sie den Mumbai-Halbmarathon und hat seitdem ihren „Lauf“ nicht mehr unterbrochen.
Beim Tata Ultra Marathon (35 Kilometer) verpasste sie zwar nur knapp die erforderliche Zeit für die Qualifikation wird aber definitiv wieder zurückkehren, um auch diese Herausforderung letztlich zu bestehen und ihre Teilnehmer-Medaille abzuholen. Mittlerweile hat Christine sogar zwei Bescheinigungen für das Guinness Buch der Rekorde und zwar für ihre Teilnahme an zwei der zahlenmäßig größten Massenläufe aller Zeiten. Ein weiteres Zertifikat dieser Art konnte sie nur deshalb nicht erhalten, weil das dafür vorgesehene Radrennen in der Corona-Krise abgesagt worden war.
Im Gespräch mit mir, fragte ich Christine auch nach ihren Träumen und Wünschen für die weiteren Lebensjahre. Vor ihrer Antwort lächelte sie auf ihre typisch bescheidene Weise und scheint ihre Worte sorgsam zu wählen: „Als bei diesem Unfall meine Schwägerin starb, wurde mir schlagartig klar wie schnell das Leben vorbei sein kann. Ich habe seitdem keine Zeit mehr für unnütze Dinge zu verschenken. Ich möchte lieben und helfen. Ich möchte mit anderen in Kontakt treten und wenn notwendig sie unterstützen. Mein Lebensmotto heißt seitdem: „Ein Leben für die Gemeinschaft ist ein gutes Leben.““
Christine hatte bereits 2006 einen Weiterbildungskurs in Palliativmedizin abgeschlossen. Doch erst nach ihrem Unfall begann sie wirklich damit, Krebspatienten im Romila Palliative Care Center von Mumbai zu unterstützen. Das Zentrum war von ihrer Cousine eröffnet worden, nachdem diese ihre Tochter Romila im Alter von 39 Jahren an den Krebs verloren hatte. Christine hat zusammen mit anderen Freiwilligen mittlerweile erfolgreich ein Seminar, mit dem Namen „Entscheidende Dimensionen der Krebsbehandlung“ absolviert und kann nun Krebspatienten auf ihrer schwierigen Reise durch Therapien, Chemo-Behandlungen und Phasen völliger Niedergeschlagenheit begleiten. Der Lockdown gab ihr darüber hinaus die Möglichkeit Krebspatienten halbtags in ihren Häusern zu besuchen und sie dort mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe zu versorgen.
Doch das ist noch lange nicht das ganze Programm, welches Christine seit nun schon geraumer Zeit absolviert. Sie ist mittlerweile auch Sekretärin einer Non-Gouvernmental Organization (NGO) namens St.Vincent de Paul-Gesellschaft, welche sich an sozial Benachteiligte wendet und ihnen nicht nur Lebensmittel, sondern auch medizinische und pädagogische Unterstützung bietet. Zusammen mit anderen NGO-Mitgliedern besucht sie jede Woche diese armen Familien in ihren Häusern, organisiert Zusammenkünfte und nimmt sie mit auf Ausflüge.
Was Christine heute sehr bedauert, ist, dass sie nie eine ordentliche Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert hat. Doch die Pflege ihrer Eltern hat ihr ein bisschen von der Schwere aber auch Erfüllung dieser Arbeit verschafft. Sogar Hunde erfahren mittlerweile Christines Liebe und Fürsorge. Erbarmungswürdige Streuner haben über die Jahre immer wieder ihre Unterstützung erfahren. Zahllose Hunde und Katzen wurden adoptiert. Momentan leben in ihrem Haus fünf Katzen sowie ein tauber und blinder Hund, der sorgfältig gepflegt werden muss.
In unserer schnelllebigen Welt vergessen wir manchmal, was wirklich wichtig ist. Aus meiner Sicht lehrt uns Christine eine wichtige Lektion, während sie durch ihre Handlungen spricht und ein Leben voller Sinnhaftigkeit und Mut führt.
Jeder, der Christine je getroffen hat, wird darin zustimmen, dass sie die Welt, wo auch immer sie ist, ein bisschen besser macht.
Für mich ist Christine eine dieser „einfachen Heldinnen von nebenan“, weil sie ihren Lebenszweck in zwei einfachen und kraftvollen Worten ausdrücken kann und diesen auch eindrucksvoll lebt: LIEBEN & HELFEN!
In diesem Sinne, Vielen Dank und alles Gute weiterhin Christine !!!
Leave a Reply