Vor ziemlich genau zwei Jahren, im März 2018 passieren in meinem Leben mehrere Dinge gleichzeitig, die mich dazu bringen meine Beziehung zum Alkohol grundsätzlich in Frage zu stellen. Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr ein Gesellschafts- und Wochenendtrinker. Und dabei könnt Ihr darauf wetten, dass ich nur wenige Wochenenden verpasst habe, an denen ich nicht in der ein oder anderen Art gefeiert und dabei ein paar Biere oder ein paar Gläser Wein genossen habe.
Dabei hätte ich mich – abgesehen davon, dass ich einmal im Vollrausch fast die Küche meiner Eltern abgefackelt hatte – nie als Alkoholiker bezeichnet, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Aber ich habe mich doch jedes Mal darauf gefreut spätestens am Freitag oder Samstag meinen verdienten Drink zu mir nehmen zu können. Und bei jedem ersten Schluck habe ich dieses bestimmte Gefühl der sofortigen Entspannung, Freude und Erleichterung genossen.
Aber die Anzahl der Getränke schien mit den Jahren allmählich zuzunehmen, und als ich für den Monat März 2018 eine tatsächliche Zählung durchführte, war ich bei ungefähr 70 Einzelgetränken angekommen. Im Verhältnis zu einem richtigen Alkoholiker immer noch überschaubar. Aber rechnet man ein, dass ich eigentlich nur zwei- bis dreimal in der Woche überhaupt Alkohol getrunken habe, sind das sieben bis neun alkoholische Getränke pro „Ziehung“ – eine, „olympische Leitung“. Was erschwerend hinzukam war, dass die vorher eher seltenen „Filmrisse“ in den Wochen um diesen März vor zwei Jahren in beängstigender Weise zuzunehmen schienen.
Eigentlich dachte ich immer, dass es hinsichtlich der trunkenen Abende nicht viel zu befürchten gab. Ich bin eher ein geselliger, lustiger und friedfertiger Mensch. Und daran änderte sich auch meist bei großen Mengen Alkohol nicht viel. Dennoch wachte ich nun an manchem Morgen auf und fragte mich als erstes, ob ich in der zurückliegenden Nacht nicht etwas Dummes getan, mich selbst in Verlegenheit gebracht oder etwas sehr Kontroverses gesagt hatte. Und genau dieses Gefühl begann sich nun mehr und mehr in meine Seele zu graben. Da ich in derselben Phase aber auch versuchte, Gewicht zu verlieren, dachte ich mir: warum mit dem Alkohol nicht eine Weile pausieren?
Ein Sprichwort sagt: „Wenn der Schüler bereit ist, taucht auch der Lehrer auf.“ Und in meinem Fall waren es gleich mehrere. Der erste war Peter. Er führte mich durch einen 8-wöchigen Meditationskurs, den ich heute in der Rückschau als lebensverändernd bezeichnen würde. Peters harte und sehr deutsche „liebevolle Güte“ war oftmals nicht leicht, hat mir aber mehr als einmal sehr geholfen. Er selbst hatte zu diesem Zeitpunkt bereits acht Jahre keinen Schluck Alkohol mehr getrunken und so fragte er mich: „Warum versuchst du nicht, zumindest für die Zeit des Kurses „trocken“ zu bleiben?“
Zur gleichen Zeit durchlief jemand, der mir sehr am Herzen liegt, eine schwere Gesundheitskrise. Eine wichtige Operation war notwendig und es war klar, dass eine Rückkehr zu alten Trinkgewohnheiten im wahrsten Sinne des Wortes „tödlich“ sein könnte. Dieser Mensch hatte zu diesem Zeitpunkt wirklich ernsthafte Probleme mit dem Alkoholkonsum und aufgrund des Suchtverhaltens war tatsächlich höchste Alarmstufe geboten. Leider war ein Reha- oder Therapieprogramm keine Option, und so schlug ich spontan vor, dass wir beide aufhören könnten Alkohol zu trinken, damit der Weg in die schrittweise Abstinenz nicht so einsam und unbegleitet absolviert werden muss. Ich wusste selbst nicht, wie schwer das Ganze werden würde.
Aber dann passierte noch etwas was mir wirklich sehr geholfen hat. Mein guter Freund Mark stellte mir die wunderbare Institution „OYNB – One Year No Beer“ (Ein Jahr ohne Bier) vor, die Menschen dabei hilft, ihre Beziehung zu Alkohol neu zu bewerten und letztlich zu ändern. Vorsichtig entschied ich mich erst für die „90-Tage-Challenge“. Um diese aber schon bald auf 365 Tage, also ein ganzes Jahr zu verlängern.
Der Beginn der totalen Alkoholfreiheit (AF) war wirklich schwierig. Da kamen nun die Wochenenden, an denen ich sah, wie meine Frau Anne ihr geliebtes Pint Guinness bestellte. Und in mir kam sofort der Neid hoch. Es gab den tief verwurzelten Drang jetzt ebenso die Erleichterung durch Alkohol zu bekommen. Noch schwerer waren die Treffen mit Freunden beim Fußball. Denn dort waren das obligatorische Bier, der Drink, das Glas Rotwein die Schmiermittel, die uns das sofortige, vertraute Gemeinschaftsgefühl und die dann die Euphorie brachten. Ich merkte sofort, dass ich da raus war und ich begann diese Interaktionen und die daraus auch irgendwie resultierende Kameradschaft sofort zu vermissen. Aber ich blieb standhaft und begann mich auf die engen Freundschaften mit den Menschen zu konzentrieren, die auch da waren, wenn der Alkohol fernblieb.
Jeder der schon mal in einer ähnlichen Situation war, wird bestätigen, dass Alkohol tatsächlich die einzige Droge ist, bei der man sich dafür entschuldigen oder sagen wir besser rechtfertigen muss, wenn man sie nicht zu sich nimmt. Und so war es natürlich – wenn auch nicht immer – auch bei mir.
Wenn man allerdings ehrlich ist, spürt man den Druck viel mehr in sich selbst, als dass er von außen tatsächlich ausgeübt wird. In einer Runde, in der man der einzige ist, der gar nichts trinkt, fühlt man sich anfänglich und ab einem bestimmten Grad der alkoholinduzierten Euphorie der anderen ziemlich einsam und verspürt den unmittelbaren Drang nach Hause zu gehen. Jeder, der das mal erlebt hat, weiß wovon ich spreche denke ich.
Nun ist ja anzunehmen, dass sich das Aufgeben des Trinkens irgendwie auch positiv auf Körper und Seele auswirken muss. Aber ein paar Monate später begann ich trotzdem alles in Frage zu stellen. Wenn mir nach den ersten Wochen der Abstinenz jemand gesagt hätte, dass ich in einem halben Jahr weder einen Schluck Alkohol getrunken noch einen Kater gehabt hätte, hätte ich alles darauf gewettet, dass das bedeuten müsse, dass ich nun voller Energie, Glückseligkeit und allgemeiner Lebensfreude sein müsse. Aber genau das war leider nicht der Fall.
Wenn man allerdings ehrlich ist, spürt man den Druck viel mehr in sich selbst, als dass er von außen tatsächlich ausgeübt wird. In einer Runde, in der man der einzige ist, der gar nichts trinkt, fühlt man sich anfänglich und ab einem bestimmten Grad der alkoholinduzierten Euphorie der anderen ziemlich einsam und verspürt den unmittelbaren Drang nach Hause zu gehen. Jeder, der das mal erlebt hat, weiß wovon ich spreche denke ich.
Nun ist ja anzunehmen, dass sich das Aufgeben des Trinkens irgendwie auch positiv auf Körper und Seele auswirken muss. Aber ein paar Monate später begann ich trotzdem alles in Frage zu stellen. Wenn mir nach den ersten Wochen der Abstinenz jemand gesagt hätte, dass ich in einem halben Jahr weder einen Schluck Alkohol getrunken noch einen Kater gehabt hätte, hätte ich alles darauf gewettet, dass das bedeuten müsse, dass ich nun voller Energie, Glückseligkeit und allgemeiner Lebensfreude sein müsse. Aber genau das war leider nicht der Fall.
Das Leben fühlte sich nun manchmal noch schwieriger an, als in den Zeiten regelmäßigen Trinkens. Erst später sollte ich erfahren, dass dies völlig normal in der schrittweisen Entwöhnung ist. Es gibt im Leben einfach Höhen und Tiefen. Nur hatte ich in der Vergangenheit die negativen Seiten weggetrunken und mich an den künstlich hergestellten Höhenflügen erfreut. Und über die Filmrisse hatte ich großzügig hinweggesehen.
Jetzt gab es keine Betäubung mehr, und ich brauchte wahrscheinlich anderthalb Jahre, um zu erkennen, dass es auch ohne die sofortige Erleichterung mittels eines alkoholischen Getränks möglich ist, mit dem Gefühl von Niedergeschlagenheit, Müdigkeit oder Frustration fertig zu werden. Und so gewöhnte ich mich Schritt für Schritt daran, dass es nicht nur möglich, sondern auch überaus befreiend ist, das Spektrum des Lebens auch ohne die benebelnde Wirkung eines Drinks in sich aufnehmen zu können.
Ich sah nun oftmals völlig nüchtern und zum ersten Mal, dass es durchaus eine große Anzahl Menschen gibt, die innerhalb mehrerer Stunden ganz langsam und genussvoll ein oder zwei Gläser Wein trinken können, ohne völlig die Kontrolle zu verlieren. Ich kann das nicht. Ich wollte oftmals schnell „euphorisch“ werden, um mich einfach besser und entspannt zu fühlen.
Doch das Leben ohne Alkohol hat mich letztendlich dazu gebracht, mein Leben ehrlicher, enger an meinen Bedürfnissen und denen anderer zu leben – und dabei überraschenderweise mich auch noch deutlich freier zu fühlen. Ich spüre, dass ich ein besserer Coach bin, als ich es vorher war. Ich bin präsenter, objektiver, kongruenter – und merke das auch an dem Fakt, dass sich mein Einkommen aus dieser Arbeit innerhalb der letzten zwei Jahre fast verdoppelt hat. Der Sieg gegen meine Alkoholgewohnheiten hat mir mehr Ruhe, Konzentration und ein wachsendes Maß an Selbstvertrauen gegeben. Und die mir so wichtige Person? Hat die Operation gut überstanden und zwei Jahre später auch den Alkohol besiegt.
Für mich war der Weg in die komplette Alkoholabstinenz keine Einbahnstraße. Ich habe einiges, was mir am und im Alkoholgenuss lieb und teuer war verloren. Und ich gebe zu, das auch zu vermissen. Aber ich habe eben noch mehr dabei gewonnen. Wundervolle Dinge, Gefühle und Einsichten, für die ich wirklich dankbar bin und von denen ich weiß, dass sie eben auch einen Preis haben, der zu bezahlen ist.
Mein Fazit: ich habe heute das Gefühl, dass ich ohne Alkohol noch mehr vom Leben habe und aus ihm ziehen kann, als in der Zeit davor. Und das aus eigener Kraft erkannt und entdeckt zu haben, darauf bin ich stolz.
Ich möchte diesen Artikel nicht teilen, weil ich denke, dass DU Dein Leben verändern solltest, sondern weil ich meine persönliche Geschichte und meine Erkenntnisse weitergeben möchte. Wenn Du jedoch das Gefühl hast, dass es etwas in Deinem Leben gibt, das sich zu stark im negativen Sinne auf Dein Glücksempfinden und Deine allgemeine Zufriedenheit auswirkt, als es sollte, warum solltest Du dann nicht eine Pause einlegen?
Es gibt viele unterstützende Ressourcen und ich denke, die Vorteile sind einfach zu groß, um es nicht einfach mal zu versuchen.
-Euer Jörg
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