Eigentlich wollte ich eine Geschichte über die schon 2018 verstorbene Mittelstrecken-Legende Sir Roger Bannister schreiben. Für die, die ihn nicht kennen: Er war der erste Mensch, der die englische Meile unter vier Minuten gelaufen war.
Bis zum 6. Mai 1954 waren Läufer daran immer wieder gescheitert, so dass sich eine Art psychologischer Barriere um diese Vier-Minuten-Grenze aufgebaut hatte.
Nachdem Bannister diese scheinbar unmöglich zu schaffende Zeit allerdings gemeistert hatte, folgten ihm gleich zahlreiche Läufer nach, weshalb ein regelrechter Mythos um seinen Rekordlauf entstand.
Obwohl ein Artikel in „The Science Of Running“ dem Bannister-Phänomen einen Teil seiner Legende beraubt, glaube ich fest daran, dass wir alle im wirklichen Leben von Zeit zu Zeit mit dieser Art von „gläsernen Decken“ (im Englischen „glass-ceiling“ genannt) zu kämpfen haben. Deshalb möchte ich im Folgenden von meiner eigenen jüngsten „psychologischen Barriere“ berichten. Vielleicht finden Sie dabei einige Denkanstöße dafür, wie Sie ihre eigenen „Glasdecken“ durchbrechen können.
Im Rahmen meines Studiums am britischen National College für Hypnose und Psychotherapie besuchte ich Mitte Februar einen Kurs zur Unterstützung von Klienten, die mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und traumatischen Erfahrungen zu kämpfen haben. Vor diesem Training hatte ich bereits zwei Jahre Studium hinter mir und konnte mit einem gewissen Recht behaupten mir neue Kenntnisse, Werkzeuge und therapeutische Ansätze angeeignet zu haben.
Aber, wenn ich ehrlich bin spürte ich noch nicht die innere Überzeugung und das volle Selbstvertrauen, dieses psychotherapeutische Wissen auch wirklich einzusetzen und das Leben meiner Klienten wirklich zu verbessern. Doch dieser spezielle Kurs sollte mein Zögern beseitigen. Denn durch ihn lernte ich die notwendigen Techniken, mit denen ich meine Klienten unterstützen kann, dauerhafte Veränderungen in ihrer Gefühlswelt und im Umgang mit ihren Emotionen zu bewirken.
Außerdem gab mir der Kurs tiefe Einblicke, warum so viele von uns manchmal mit überwältigenden Sorgen, Ängsten und Zweifeln zu kämpfen haben. Das hat damit zu tun wie wir einschneidende Ereignisse aus der Vergangenheit verarbeiten, indem wir explizite und implizite Erinnerungen schaffen.
Explizite Erinnerungen sind detaillierte, faktenbasierte, verbale Beschreibungen von Ereignissen.
Nach meinen eigenen Worten haben solche Erinnerungen einen „Inhalts-, Zeit- und Ortsstempel“ und werden ordnungsgemäß in der Abteilung „Dies-ist,-was-dort-und-dann-passiert-ist“ unserer Speicherbanken abgelegt.
Implizite Erinnerungen hingegen repräsentieren Empfindungen und Emotionen, die dadurch erzeugt werden, wie stressig wir die entsprechenden Ereignisse fanden. Das Schlüsselverständnis hierfür ist, dass diese impliziten Erinnerungen nicht in unserem Gehirn gespeichert sind. Sie sind in unserem Körper – andere würden sagen, in unserem „System“ – gespeichert. So können wir schneller reagieren, wenn wir das nächste Mal denselben oder ähnlichen „gefährlichen“ Ereignissen ausgesetzt sind. Im Gegensatz zu expliziten Erinnerungen werden implizite Erinnerungen nicht „ordnungsgemäß abgelegt“ und können nicht nach Belieben abgerufen werden. Sie werden durch verbundene Reize wie zum Beispiel Geräusche, Gerüche, Rückblenden oder bestimmte Wörter ausgelöst.
Da sie keinen „Zeitstempel“ haben, erleben wir sie in unserem Körper als real im „Hier und Jetzt … und uns bricht – ohne bewusstes Nachdenken – buchstäblich der “Schweiß aus.” Von einem Moment auf den anderen können unsere Gefühle so intensiv werden, dass sie uns völlig überwältigen. Wenn wir uns in diesem Zustand befinden, können wir nicht mehr rational denken. Wir sind unseren emotionalen Reaktionen ausgeliefert, die in der Regel entweder aus Panik oder Vermeidungsverhalten bestehen. Innerhalb dieses emotionalen “Gefängnisses” gibt es für uns kaum eine Chance, unser Leistungsniveau und unser Vertrauen in unsere Fähigkeiten zu erweitern.
Das ist so hart und desillusionierend wie es klingt – aber es gibt auch gute Nachrichten!
Denn über die Fähigkeiten, die ich im Workshop gelernt habe, kann ich meine Klienten dabei unterstützen ihre Emotionen bewusst zu verarbeiten und sie effektiv zu „bändigen“. Viele von uns müssen sich zum Glück nicht mit den emotionalen Folgen schwerwiegender traumatischer Erlebnisse auseinandersetzen. Aber wir alle hatten schon öfter, als uns das vielleicht lieb war, mit überwältigenden Sorgen und Ängsten zu kämpfen. Und das gilt natürlich besonders in Zeiten wie diesen.
Die neuen Therapieansätze, basierend auf individuellen Visualisierungs-Techniken, haben nicht nur mir persönlich geholfen in schwierigen Situationen ruhiger zu bleiben, sondern unterstützen auch meine Kunden, auf eine neue und tiefere Ebene der Selbsterkenntnis zu gelangen.
Dies wiederum hat mir mehr Vertrauen in mich selbst und meine Tätigkeit als Therapeut gegeben und interessanterweise scheint mir dies wiederum geholfen zu haben, mehr Klienten zu gewinnen. Kein unerheblicher Fakt, immerhin braucht es 450 Stunden, um ein UK zertifizierter Psychotherapeut zu werden.
Aber auf lange Sicht sehe ich mich nicht nur als Psychotherapeut, sondern als einen, wie ich es nenne „Weltklasse-Executive-Coach“, der seinen Kunden helfen kann, sich auf die nächste Vorstandssitzung vorzubereiten, eine leistungsstarke Organisation aufzubauen, Büropolitik durchzuarbeiten und der sie gleichzeitig dabei unterstützt, ihr emotionales Wohlbefinden spürbar zu verbessern.
Damit habe ich nun tatsächlich das Gefühl, eine dieser berühmten „Glasdecken“ durchbrochen zu haben. Nach zwei vollen Jahren der Ausbildung fühlt es sich so an, als ob die theoretischen Kenntnisse und praktischen Übungen zusammenkommen, um mein eigenes Leben und das meiner Kunden zu verbessern.
Meine Herausforderung für Sie in diesem Monat besteht darin, Ihr eigenes Leben zu betrachten und mögliche Glasdecken zu identifizieren, die für Sie existieren. Welche psychologischen Barrieren gibt es, deren Beseitigung einen Unterschied in Ihrem eigenen oder im Leben eines anderen Menschen bewirken kann?
Für manche von uns ist es das nächste Level in der Karriere, ein neues Fitness-Regime, eine persönliche Gewichts-Bestmarke oder vielleicht ein Breakthrough in einem unserer Hobbies. Halten Sie inne, reflektieren Sie und beobachten Sie die Bereiche, in denen sich Glasdecken befinden könnten und identifizieren Sie, womit Sie heute beginnen können, um diese zu durchbrechen.
Es kann eine Weile dauern. Einige unserer impliziten Erinnerungen sind ziemlich tief verwurzelt und nicht so leicht von ihren Fesseln zu befreien. Aber jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt oder wie Sir Roger Bannister sagte: „Nur weil gesagt wird, dass es unmöglich ist, heißt das nicht, dass Sie es nicht tun können!“
– Euer Jörg
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