Du erinnerst dich vielleicht an den vorherigen Newsletter über eine meiner Klientinnen, welche eine sehr emotionale Situation mit einem „Diktator“ durchlebte. Nur kurze Zeit später traf ich auf einen weiteren Klienten, der sich in einer ähnlichen Lage befand.
Chris, ein ruhiger, ausgeglichener und freundlicher, 34-jährigen Manager, war in einer echten „Sprint“-Karriere schnell in die Führungsetage eines mittelständischen, schwedischen Unternehmens aufgestiegen. Nach zehn Jahren, und stationiert in Großbritannien, leitete er nun die globalen Lieferketten-Aktivitäten der Firma.
Chris liebte seinen Job so sehr, dass er ihn als sein „Hobby“ bezeichnete, bei dem es ihm immer großen Spaß bereitete, neue Lösungen für seine Kunden zu entwickeln. Aber Chris stand gleichzeitig vor einer gewaltigen Herausforderung. Aus reiner Gutmütigkeit machte er zwei Jobs gleichzeitig.
Neben seiner eigentlichen Arbeit mit seinem Chef in Schweden hatte Chris zugestimmt, in der Zwischenzeit die lokale britische Serviceorganisation zu unterstützen, bis dort jemand eingestellt wurde. Diese Doppelbelastung begann ihn massiv zu überfordern.
Hinzu kam noch, dass Chris kürzlich von seinem Interimschef in England ins Visier genommen und in der letzten Besprechung „persönlich angegriffen“ wurde. Er hatte also zwei Jobs und eine soziale Belastung zu managen, was in ihm emotionale Aufruhr, Wut und Frustration triggerte.
Er beschrieb den Geschäftsführer als einen „lautstarken Tyrannen“ der „älteren Generation“, der alle Entscheidungen rücksichtslos „von oben nach unten durchprügelte“. Jede Begegnung der beiden war von einer gefühlskalten Härte geprägt. In einem Meeting knöpfte sich der „Tyrann“ Chris schließlich persönlich vor, der Auslöser war ein kleinen Fehler auf einer seiner gezeigten Folien. Stück für Stück nahm er Chris auseinander, was in ihm Gefühle von Inkompetenz, Frustration und Demütigung hinterließ. Der Konflikt schien nicht mehr auflösbar.
Wie im Fall von Alice wendeten wir das Arbeitsblatt „Gedanken, Gefühle, Verhalten“ an, um besser zu verstehen, was in Chris vorging, als er versuchte, sich durch dieses Chaos zu manövrieren. Es war klar, wir mussten die Dynamik ändern.
Als ersten Schritt fragte ich Chris, was in dieser Situation unter seiner Kontrolle war? Zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich nach wie vor hilflos und antwortete: „Es fühlt sich an, als hätte ich hier gar nichts unter Kontrolle!“
An diesem Punkt entschieden wir das CIC-Modell zu nutzen, welches von Steven Covey als Teil seiner „7 Wege zur Effektivität. Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg“ entwickelt wurde. Das Modell untersucht, was in unserer Kontrolle liegt (1), was wir beeinflussen können (2) und was komplett außerhalb unserer Kontrolle liegt (3).
Schritt für Schritt identifizierten wir wichtige Dinge, die unter Chris‘ Kontrolle standen:
Beim Betrachten der verschiedenen Ringe wurde deutlich, dass Chris sich mehr auf die Dinge konzentrieren sollte, die er kontrollieren konnte, wobei er den äußeren Kreis mehr oder weniger ignorierte.
Mit der Klarheit darüber, was in seiner Kontrolle lag, entschied Chris, ein Treffen mit dem „Tyrannen“ für die Woche danach zu vereinbaren. Er wollte Klarheit schaffen und alle offenen Punkte klären. Ein mutiger Schritt, aber nicht so leicht umzusetzen. Wir mussten uns gut auf das Treffen vorbereiten.
Es war wichtig, dass Chris ruhig und gelassen für sich eintrat, und alle Probleme an- bzw. besprach. Gleichzeitig musste dies so vonstatten gehen, dass eine weitere Eskalation mit dem „Tyrannen“ ausblieb.
Zur Vorbereitung auf dieses Treffen nahmen wir uns ein weiteres Modell zur Hilfe, nämlich das der gewaltfreien Kommunikation (Non Violent Communication) von Marshall Rosenberg, welches der amerikanische Psychologe, Autor und Lehrer entwickelt hatte, um schwierige Botschaften übermitteln zu können, ohne damit eine gewaltsame Folgekommunikation in Gang zu setzen.
Der Trick bei dieser Strategie besteht darin, sich im Gespräch auf sich selbst zu konzentrieren, anstatt sich mit der „Schuld der anderen Seite“ zu beschäftigen. Dadurch kann der Gesprächsfluss eine offenere Atmosphäre des konstruktiven Dialogs erzeugen.
Das Modell besteht aus vier Schritten: 1. Fakten, 2. wie fühle ich mich dadurch, 3. was brauche ich und 4. was ist die Bitte an die andere Seite?
Zur Vorbereitung auf das Gespräch mit dem „Diktator“ fassten Chris und ich folgendes zusammen:
- Fakten:Wir befinden uns aufgrund erheblicher Lieferverzögerungen in einer Krise. Viele unserer letzten Meetings waren nicht produktiv, und es gibt eine Reihe offener Punkte, die auf dringende Entscheidungen und Aktionen warten. Das macht es für mich (Chris) sehr schwer, die Lage zu verbessern, vor allem da ich nur als Interimsmanager mit eigentlich lediglich 50 Prozent meiner Arbeitskraft einspringe.
- Gefühle:Wenn ich ehrlich bin, frustriert mich diese Situation sehr und ich fühle ich mich ein wenig im Stich gelassen.
- Bedarf:Für die Zukunft suche ich eine engere Zusammenarbeit und Unterstützung von Ihrer Seite („Diktator“), um gemeinsam einen Weg aus dieser Krise zu finden.
- Bitte:Um dies zu erreichen, schlage ich vor, dass wir eine wöchentliche 1:1-Kommunikation etablieren, die dabei hilft, Entscheidungen schneller zu treffen, Hürden abzubauen und die Probleme zu lösen.
Wir spielten das Gespräch zweimal im Rollenspiel durch und dann machte sich Chris tapfer auf den Weg zum „Diktator.“
Jetzt würde man erwarten, dass es in der Praxis nicht so funktioniert, wie man sich das vorher am Reißbrett zurechtlegt. Aber im Falle von Chris lief es sogar noch besser, als wir es erwartet hatten. Am Ende entschuldigte sich der „Diktator“ sogar bei Chris dafür, dass er „etwas emotional“ gewesen sei, und beide einigten sich auf regelmäßige Einzelgespräche sowie einen klaren Plan, wie man aus der Krise herauskommen könne.
Die beiden sind seither keine besten Freunde geworden, aber Chris geht seit dieser „Klärung“ erhobenen Hauptes in jede Begegnung mit dem einstigen „Tyrannen“. Das Gespräch und hier insbesondere Chris‘ Mitteilung seiner Gefühle und Bedürfnisse, hat die zwischenmenschliche Dynamik verändert. Er bekommt seitdem deutlich mehr Respekt und Unterstützung.
Meine heutige Herausforderung an Dich ist einfach. Wenn Du dich einmal ähnlich wie Chris in einer problematischen Situation befindest und Schwierigkeiten hast, eine herausfordernde Botschaft an jemand anderen zu vermitteln, frage dich zuerst, was in deiner Kontrolle liegt. Arbeite dann die vier einfachen Schritte von Rosenberg‘s Ansatz der gewaltfreien Kommunikation (NVC) durch.
- Was sind die Fakten?
- Welches Gefühl löst das in Dir aus?
- Was brauchst Du?
- Was ist die Bitte an die andere Seite?
Es mag auf den ersten Blick vielleicht etwas umständlich aussehen, aber probiere es aus. Es hat durchaus das Potenzial, dir zu helfen, schwierige Botschaften rüberzubringen und damit Dynamiken in Beziehungen zu drehen.
– Euer Jörg
– Jörg
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