Maurice Flitcroft war eigentlich ein ganz normaler Kranführer auf einer Werft im Nordosten Englands. Im Oktober 1974, im Alter von 44 Jahren, tat er etwas vollkommen Alltägliches. An einem Nachmittag schaltete er seinen nagelneuen Farbfernseher an, um sich ein Golfturnier anzusehen.
Niemand hätte geahnt, welch lebensverändernde Ereignisse das nach sich ziehen würde. Denn Flitcroft beschloss Golfer zu werden … und zwar einer, der Geschichte schreiben würde.
Als Kranführer hatte er nicht zu viel Freizeit, doch die nutzte er, um sich Bücher und Zeitschriften in der Bibliothek auszuleihen. Bevor er auch nur einmal den Schläger in die Hand nahm, wollte er das Spiel „studieren“ und alles lesen, was es dazu zu wissen gab. Schon wenig später kaufte ihm seine Mutter ein paar gebrauchte Golfschläger und so begann an einem nahegelegenen Strand eine beispielslose Golfkarriere.
Einem richtigen Golfclub beizutreten, konnte sich Maurice nicht leisten. So übte er in der freien Natur und im Winter zu Hause, wo er im Wohnzimmer in umgekippte Kaffeetassen puttete. Noch im Sommer 1975 war er hauptsächlich an Stränden aktiv und schlich sich immer wieder heimlich auf einige Golfplätze, von denen er allerdings regelmäßig wie ein Straßenköter vertrieben wurde.
Trotzdem fühlte er sich am Ende dieses Jahres bereit, am legendären „The Open“-Turnier teilzunehmen. Großbritanniens wichtigstes Major-Turnier war 1860 zum ersten Mal ausgetragen worden und galt nicht nur als das älteste, sondern wohl auch prestigeträchtigstes Golfturnier der Welt.
Zwar wird das Turnier als ein „Open“, also ein offenes Turnier bezeichnet, dennoch muss man schon außergewöhnliche Golf-Skills aufweisen, um hier antreten zu können. Maurice war überzeugt diese zu haben und bestellte das Teilnahmeformular. In jenem wurde er allerdings nach seinem „Handicap“ gefragt, was er nicht hatte, da er bei keinem Verein gemeldet war.
Doch Maurice ließ sich davon nicht erschüttern. Statt das fehlende Handicap einzutragen, machte er das Kreuz einfach im Kästchen „Profi“. Später würde er feststellen: „Ich habe als Profi an den Open teilgenommen. Der entsprechende Eintrag wurde akzeptiert und das war es dann.“
So also kam dann im Sommer 1976 der große Tag für Mister Flitcroft. Er tauchte für seine Qualifikationsrunde in Formby auf, ohne in seinem Leben auch nur eine komplette Runde Golf absolviert zu haben. Fast hätte er auch noch seine Startzeit verpasst, da er sich auf der Fahrt zum Golfplatz verfahren hatte. Aber er schaffte es und ging also vollkommen selbstsicher zum Abschlagsplatz.
Dort erregte er sofort Verdacht, ob seiner ungewöhnlichen Bewegungsabläufe. Einer seiner Kontrahenten, Jim Howard erinnerte sich später: „Maurice packte den Schläger als ob er jemanden ermorden wollte. Ich hatte am Anfang nicht viel darüber nachgedacht. Und selbst als ich sah, dass er mit seinem ersten „Drive“ nur etwa 20 Meter schaffte, dachte ich, es seien die Nerven.“
Als der Golf spielende Kranführer allerdings auch den zweiten Ball ins „Rough“ beförderte und danach noch mehrere Versuche unternahm, um überhaupt die Position der anderen zu erreichen, wusste Howard, dass hier etwas nicht stimmte und alarmierte die Offiziellen. Aber sie konnten Mister Flitcroft nicht von seinem Spiel abbringen. Immerhin hatte er eine bestätigte Anmeldung.
Bald hatte sich herumgesprochen, dass etwas Einzigartiges passierte. „Schnell versammelte sich eine Menge von 200 bis 300 Menschen, die sich an der Sache ergötzten“, erinnerte sich Howard.
Am Ende spielte Maurice Flitcroft seinen Parcour mit 121 Schlägen, was das mit Abstand schlechteste Ergebnis in der Geschichte der ehrwürdigen „The Open“ war. In Wirklichkeit waren es wahrscheinlich sogar noch mehr Schläge, da Maurice zwischenzeitlich in den Sanddünen verschwunden war und keiner wirklich nachvollziehen konnte, wie viele Versuche er dort gebraucht hatte, um wieder aufs „Green“ zu finden.
Zwar musste er „The Open“ verlassen, aber er schaffte es auf die Titelseiten der Magazine und wurde weit vor dem Zeitalter von Internet und Social Media kurzzeitig zu einer Berühmtheit. Unerschrocken gab er seinen Traum, die „Open“ zu gewinnen, dennoch nicht auf.
In den kommenden Jahren verwendete er verschiedene Namen und tarnte sich mit Schnurbärten und Perücken, um es immer und immer wieder zu versuchen. Insgesamt unternahm er noch rekordverdächtige fünf weitere Versuche, um die „Open“ zu entern.
Er trat auf als James Beau Jolley (Beau, nach seinem Hund und Beaujolais ausgesprochen, weil er „wie ein feiner Rotwein spielte“), versuchte es als Arnold Palmtree, eine Anspielung auf die Golflegende Arnold Palmer und als genialer Graf Manfred von Hoffmenstal. Alle diese Versuche waren zum Scheitern verurteilt.
Aber 1984 schaffte er es als Gerald Hoppy, Golfprofi aus der Schweiz.
Maurice, Alias Gerald, schaffte die neun Löcher mit 63 Versuchen, eine auffällig lausige Performance, so dass die Offiziellen auch hier merkten, dass sie schon wieder mit einer Art „Maurice Flitcroft“ zu tun hatten.
„Stellen Sie sich deren Überraschung vor“, so Flitcroft später, „als sie bemerkten, dass sie erneut genau diesen berüchtigten Maurice Flitcroft gefasst hatten.“
Er selbst war damit zu einer Legende geworden und seinem Beispiel folgend wurden auf der ganzen Welt Amateur-Golfturniere veranstaltet, die eher schlechte Auftritte belohnten. Nach ihm benannt wurde zum Beispiel das „Maurice Gerald Flitcroft Member-Guest Tournament“ in Blythefield, Arkansas, USA. Dorthin wurde der ungewöhnliche Golfstar 1988 eingeladen, wobei er dann nach Aussage von Zuschauern „eigentlich ganz anständig spielte“.
Mit diesem Erfolgserlebnis in der Tasche, beschloss Maurice dann 1990, ganze 15 Jahre nach seinem ersten Versuch, es noch ein letztes Mal bei den „Open“ zu probieren. Sein Name diesmal: Gene Pacheki, eine Hommage an die Golflegende Walter Danecki und ein Wortspiel mit „Paycheckie“ (Gehalts-Scheck).
Dieses Mal war der ungewöhnliche Paradiesvogel nach zwei Löchern nur respektable drei über Par, bevor er jedoch wieder vom Platz gezogen wurde.
Ihr werdet euch sicherlich fragen, warum ich diese wirklich bizarre Geschichte heute erzähle.
Na ja, das Jahr 2023 hat gerade begonnen und die ersten Neujahrsvorsätze sind vielleicht schon wieder einkassiert.
Lasst uns nicht zu schlecht deswegen fühlen. Die Geschichte von Maurice Flitcroft erinnert uns daran, dass das Leben auch eine leichte und humorvolle Seite hat und wir uns manchmal vielleicht nicht zu sehr in den Sturm und den Drang des Lebens verwickeln lassen sollten.
Nehmen wir die Dinge im Jahr 2023 ab und zu nicht ganz so ernst. Lasst uns einfach auch ein wenig Spaß haben.
Genauso wie Maurice, wenn er auf seine sagenhafte Profi-Golfkariere zurückblickt!
– Jörg
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