Ein bekanntes Zitat des amerikanischen Wirtschaftsjournalisten und Psychologen Daniel Goleman hat mich dazu inspiriert, diesen Artikel zu schreiben. Goleman sagte: „Außergewöhnliche Führungspersönlichkeiten zeichnen sich vor allem durch außergewöhnliche Selbstführungskräfte aus“. Ich möchte nachfolgend meine Erfahrungen beschrieben, welche ich zum Thema Self-Leadership, auf einem 800 Kilometer langen Weg gemacht habe.
Vor nunmehr schon fast zehn Jahren fragte ich meinen damaligen Manager bei Procter & Gamble, ob er mir vier freie Wochen genehmigen würde, um mir eine einzigartige Herausforderung zu ermöglichen. Ich wollte den wohl bekanntesten aller Pilgerwege, den Jakobsweg durch ganz Nordspanien bewältigen. Die Antwort meines Vorgesetzten war zunächst „nein“, doch wenig später änderte er glücklicherweise seine Meinung. Immerhin hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits siebzehn Jahre im Supply Management gearbeitet und dabei kein einziges mal vier Wochen am Stück Urlaub gehabt.
Mein Ziel war es also eine mehr als 1.000 Jahre alte Pilgerreise zu unternehmen, auf der seit unzähligen Generationen Menschen aus der ganzen Welt dem heiligen Jakob ihren Respekt erweisen, sich dabei aber vor allem auf die Suche nach neuen Richtungen und Perspektiven in ihrem Leben begeben. Ich hatte schon viel von diesen Weltberühmten 800 langen Kilometern gehört, aber keine Ahnung davon welche immensen Auswirkungen sie für mein weiteres Leben haben würden. Um es kurz zu machen: zwei Jahre später kündigte ich meinen Job und begann ein neues Leben und damit auch eine neue Karriere als Executive Coach. Und, ich habe diesen Schritt bis heute keine Minute bereut. Nicht nur einmal wurde mir rückblickend klar, dass es vor allem die Erfahrung auf „meinem“ Jakobsweg waren, die mir den Mut gaben, diesen Schritt zu wagen. Und deshalb bin ich jetzt auch froh, einige der (manchmal überaus schwierigen) Lektionen, die ich auf oftmals einsamen Pfaden im Norden von Spanien gelernt habe, hier teilen zu können.
- Machen Sie sich klar, was Sie wirklich brauchen, um den angestrebten Erfolg zu erzielen
Und dabei geht es vor allem darum sich klar zu machen, auf wieviel man auf seinem Weg zum Ziel verzichten kann. Als ich meine Pilgerreise anfing zu planen, summierte sich der Inhalt meines Rucksacks schnell auf 20 Kilogramm. Glücklicherweise konsultierte ich noch kurz vor der Abreise einen Freund, der den „Camino“ selbst schon gelaufen war und mein Gepäck drastisch – um 10 Kilogramm – auf die Hälfte reduzierte. Zuerst schien es mir bei einer solchen physischen Anstrengung nicht genug, lediglich drei T-Shirts, drei Unterhosen, drei Paar Socken, zwei Wanderhosen und eine wetterfeste Jacke mitzunehmen. Aber durch die Mitnahme von Reisewaschmittel wurde mir klar, dass das bei regelmäßigem Waschen ein mehr als ausreichendes Kontingent an Kleidung war. Schon auf meiner ersten Etappe, die mich über die Pyrenäen führte, war ich über den Rat des Freundes heilfroh, hatte ich doch selbst bei einem Gewicht von nicht mehr als 10 Kilogramm das Gefühl einen ganzen Marks & Spencer-Laden auf dem Rücken zu tragen.
Nicht viel anders verhält es sich oft in der Geschäftswelt. Viele Führungskräfte haben Schwierigkeiten, ihren Fokus auf das „bigger picture“ einer Herausforderung zu behalten. Während sie ihre oft komplexen täglichen Aufgaben bewältigen sind sie sich oftmals nicht bewusst, wie lang und beschwerlich der gesamte Weg zum Ziel werden kann und wie wichtig es deshalb ist, seine Kräfte gut einzuteilen. Sich ständig die Frage zu stellen, was in einer Situation wirklich, wirklich benötigt wird, kann ein guter Weg sein, um übergewichtiges Gepäck zu vermeiden und auf der Geschäftsreise kraftvoll und effektiv zu bleiben.
Die 2014 Entscheidung von Procter & Gamble 100 seiner 180 Marken (die zusammen allerdings nur 10 Prozent des Umsatzes und sogar nur 5 Prozent des Gewinns ausmachten) abzustoßen, ist ein starkes Beispiel dafür. In meinem Coaching verwende ich verschiedene Werkzeuge, mit denen ich gemeinsam mit meinen Kunden nicht benötigtes „Gepäck“ in deren Unternehmen, ihrer Karriere oder Ihrem Privatleben identifiziere und dabei helfe dieses loszuwerden.
- Kennen Sie Ihr Ziel
An meinem ersten Wandertag kam ich an jenem, im oberen Foto abgebildeten Verkehrsschild vorbei. Damals hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde und vor allem nicht, ob ich es schaffen würde 790 Kilometer zu Fuß zu gehen. Obwohl ich mein Ziel nicht sehen konnte und mich gelegentlich sogar verlief, war mir den ganzen Weg hinweg glücklicherweise sehr klar, wohin ich wollte. Und zu wissen, dass jeder Schritt, den ich unternahm, mich der Kathedrale von Santiago De Compostela näherbrachte, war entscheidend, um bis zum Schluß und trotz zum Teil immenser Schmerzen motiviert zu bleiben.
In unsicheren Zeiten haben Führungskräfte oft Schwierigkeiten, ihr Ziel weiterhin klar definieren zu können. Es erfordert nicht nur Anstrengung, Mut und Erfahrung, sondern auch ein gehöriges Maß an Vorstellungskraft, um eine Vision zu entwickeln, die herausfordernd, umfassend und dennoch realistisch ist. Einer der Gründe, warum Führungskräfte ihre Ziele manchmal nicht erreichen, liegt schlicht und ergreifend in der Tatsache, dass diese einfach nicht „groß“ oder „ehrgeizig genug“ sind und sie deshalb ihre Fortschritte dahin gar nicht realistisch beurteilen können. In meinem Coaching beginnen wir die Sitzung deshalb stets mit der Definition der Ziele des Kunden für die jeweilige Session. Das Definieren von Zielen erfordert manchmal viel Zeit und kann dabei sogar 60 bis 70 Prozent der gesamten Sitzung in Anspruch nehmen. Sich diese Zeit zu nehmen, ist allerdings überaus wichtig, da es mir als Coach die Möglichkeit gibt die wahren Bedürfnisse, Wünsche und Potentiale meines Klienten festzustellen und aufgrund dieser Erkenntnisse einen maßgeschneiderten Aktionsplan zu entwickeln.
- Geben Sie jedem Tag ein konkretes Ziel und feiern Sie das Erreichen
Nachdem mich die ersten Tage auf dem Jakobsweg sowohl physisch als auch mental noch stärker gestresst haben, zog nach etwa einer Woche ein enormer Frieden in mir ein. Ich erkannte, dass die Fokussierung auf das jeweilige Tagesziel mir nicht nur ein enormes Gefühl der Ruhe, sondern auch eine gesteigerte Leistung verliehen. Ich hatte nur die 30, 35 oder 40 Kilometer des jeweiligen Tages vor Augen und vergaß die immense Kilometerzahl bis Santiago de Compostela nahezu. Die Freude auf die gar nicht mal so weit entfernte Herberge, kombiniert mit der täglichen Routine, den Erfolg des Tages mit anderen Pilgern beim Abendessen feiern zu können, machte den Camino zu jener einfachen und dennoch erfüllenden Erfahrung, für die er von jedem Pilger ausnahmslos gerühmt wird. Im wirklichen Leben und dabei auch dem wirklichen Geschäftsleben wird der tägliche Erfolg bei aller Hektik und dem Stress um das Erreichen des Gesamterfolges oftmals fast vergessen oder zumindest nicht ausreichend gewürdigt. Daher fühlen wir uns manchmal nach einem Tag, an dem wir tatsächlich enorme Fortschritte gemacht haben, nicht wirklich ausgeglichen oder erfüllt.
Als Coach helfe ich meinen Kunden, ihre eigenen Erfolgsindikatoren zu finden, indem ich mit Ihnen tägliche Handlungsgewohnheiten prüfe und erneuere. Sehr leistungsstarke Arbeitstage können zum Beispiel kreiert werden, wenn der Tag mit der Arbeit an zwei Hauptprioritäten beginnt, bevor überhaupt die erste E-Mail gecheckt wird. Die Anwendung dieser Technik steigert nicht nur nachweislich Ihre Produktivität, sondern kann bereits um 10 Uhr morgens ein Erfolgsgefühl hervorrufen, das den Rest des Arbeitstages positiv beleuchtet. Versuch Sie es einfach mal!
- Halten Sie sich aufrecht, kennen Sie Ihren Namen, gehen Sie Ihren eigenen Weg
Auf meinem Weg nach Santiago tauchte irgendwann zufällig ein Soundtrack auf meinem iPhone auf: „The Details in the Fabric“, gesungen von Jason Mraz. Als ich es zum ersten Mal hörte, fühlte es sich tatsächlich wie ein Geschenk aus dem Universum an: es passte einfach so gut zu meinem Weg und zur damaligen Situation, dass mich das starke Gefühl überkam es sei für mich und den Moment geschrieben. Besonders die Zeilen „if it’s a broken part replace it, if it’s a broken arm then brace it, if it’s a broken heart then face it” wurden zu meinem Mantra. Es half mir nun immer, wenn ich auf dem oftmals beschwerlichen Weg mit meinen Ängsten konfrontiert wurde. Und das passierte nicht nur einmal. Es half mir insofern, dass ich mich stellen und so wie ich in meinem Kern bin, akzeptieren konnte.
Viele Führungskräfte kämpfen mit alten Ängsten oder unerfüllten Bedürfnissen, die sie daran hindern, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Diese Ängste und Bedürfnisse zu entdecken und ihnen mit offenem Visier zu begegnen, kann eine große Erleichterung sein und es ermöglichen, mit Ihren eigenen „details in the fabric“ Frieden zu schließen. Im Coaching helfe ich Kunden, diese „Details“ zu finden, anzusprechen und zu akzeptieren. Es ist die Voraussetzung dafür, um Ihre Fähigkeit zu einer kraftvollen Self-Leadership zu verbessern. Mit wachsenden Einsichten in die Details Ihrer persönlichen Struktur haben Sie die Chance, bessere Führungskräfte für sich und Ihre Organisation zu werden.
- Mit einem Freund an der Seite ist kein Weg zu weit
Der deutsche Komiker Hape Kerkeling beschrieb den Camino als „ … hart und wunderbar, eine Herausforderung und eine Einladung, die dich zerstört und leert, aber letztlich auch komplett neu aufbaut.“ Und so war es auch für mich: genau auf halber Strecke zwischen Anfang und Ende überkamen mich große Zweifel, ob ich meine Pilgerreise wirklich beenden könnte. Mein Equipment begann sich aufzulösen und an meinen Füßen wuchsen blutige Blasen zu einer Größe, die ich vorher noch nicht erlebt hatte. Das, was mir bei all der Verzweiflung, bei aller Müdigkeit und bei allen Schmerzen dennoch half, weiterzumachen, war die Kameradschaft und Unterstützung meiner Pilgerkollegen.
Gemeinsam zu laufen, sich Geschichten erzählen, ein Lächeln austauschen oder einfache Grüße wie das wunderbare „Buen Camino“ hinderten mich daran aufzugeben. Letztendlich kümmerte sich ein erfahrener Mitpilger um die fachmännische Versorgung meiner Blasen und half mir so mein Ziel dennoch zu erreichen. Für diesen selbstlosen Akt der Solidarität und Fürsorge bin ich bis heute dankbar.
Geschäftlich tätig zu sein, den Erfolg zu jagen und die Karriereleiter hinaufzuklettern, kann sich als eine einsame Angelegenheit herausstellen. Daher ist es wichtig die Unterstützung von Familie, Freunden oder auch nur liebgewordenen Bekannten zu erhalten. Diese Kontakte helfen uns, einen positiven Ausblick zu behalten und auf einem stabilen Kurs weitermarschieren. Ein funktionierendes Familienleben und ein solides Netzwerk von Freunden, Mentoren und Trainern sind von nicht zu unterschätzendem Einfluß auf jeden beruflichen Erfolg.
Bezüglich meiner Kunden bin ich mir der Wichtigkeit meiner Rolle deshalb sehr bewußt und hoere mir gern Ihre eigenen persönlichen Erfahrungen auf dem „Corporate Camino“ an. Wir teilen Geschichten, Erkenntnisse und manchmal ein Lachen, während wir uns um die auf den Geschäftswegen erlittenen Blessuren kümmern. Die Reise ans Ziel, ob Business oder Santiago soll zu einem freudigen und lehrreichen Erlebnis werden.
Euer Jörg
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